Werner Schuster: „Wollen um Tournee-Sieg mitspringen“

Wenige Tage vor dem Auftakt der Saison 2014/2015 spricht Werner Schuster bei skispringen.com über die vergangenen Erfolge und zukünftige Ziele. Außerdem äußert sich der Bundestrainer zu einer möglichen Vertragsverlängerung.

Seit 2008 ist Werner Schuster als Bundestrainer für die deutschen Skispringer verantwortlich, nach der WM-Saison 2014/2015 läuft sein Vertrag beim Deutschen Skiverband (DSV) aus. Im exklusiven Interview mit skispringen.com-Redakteur Marco Ries spricht der Österreicher ebenso über eine mögliche Vertragsverlängerung wie über den Olympia-Sieg, die Ziele für die kommende Saison und den Rücktritt von Thomas Morgenstern.

Herr Schuster, die Wintersaison 2014/2015 steht vor der Tür. Wie ist die Vorbereitungsphase für Ihre Mannschaft in den vergangenen Monaten verlaufen?

Werner Schuster: Obwohl nach der Olympia-Saison bei den Springern auch eine gewisse Müdigkeit zu spüren war, ging es gleich wieder darum, das System neu aufzustellen. Wir konnten das Trainerteam zusammenhalten und sind damit noch eine Spur weit eingespielter. Nachdem wir in den vergangenen beiden Jahren den Sommer-Grand-Prix als Plattform zum Aufbau des Selbstvertrauens genutzt haben, sind wir diesmal eine andere Strategie gefahren – es ging darum, den Trainingsrhythmus beizubehalten.

Wie bewerten Sie die Leistungen beim Sommer-Grand-Prix?

Schuster: Die Leistungen waren in Ordnung, auch wenn wir nicht so viele Siege eingesprungen haben. Severin Freund war immer im Top-Ten-Bereich, Andreas Wellinger mit den Plätzen drei, sechs und 15. Marinus Kraus wurde Dritter und insbesondere Richard Freitag hat den Anschluss an die Weltspitze wieder gefunden. Sein Sieg beim top-besetzten Finale in Klingenthal war besonders emotional, weil Richard dazu schon ein paar Anläufe unternommen hat.

Sie sprachen von Müdigkeit bei den Springern. War es schwierig, sie wieder zu motivieren?

Schuster: Nach der vergangenen Saison ist uns eine Last abgefallen. Ich selbst musste auch durchatmen, weil es doch auch sehr intensive sechs Jahre mit einigen Hochs und Tiefs, aber auch mit viel Arbeit waren. Ich habe die Saison nach Sotschi voll durchgezogen und war bei allen Weltcups dabei, danach ist bei mir die Spannung abgefallen. Speziell Richard Freitag ist nach der Olympia-Saison natürlich sehr hungrig in den Sommer gegangen. Er hat die Situation und die Zeit genutzt, einige Dinge zu hinterfragen und hat sich runderneuert.

Nach der verpassten Olympia-Teilnahme war es sicherlich nicht einfach, ihn aus dem Tief wieder herauszuholen.

Schuster: Es hat bei ihm schon ein bisschen gedauert, aber er hat sich für seine Kollegen sehr gefreut. Man hat zuletzt bei unserem Lehrgang in Spanien gesehen, dass der Teamgeist innerhalb der Mannschaft einzigartig ist. Er ist nicht durch künstliche Maßnahmen entstanden, sondern wir versuchen einfach, die richtigen Rahmenbedingungen für diese positive Stimmung zu schaffen. Hinter Andreas Wank und Severin Freund liegt schon eine lange gemeinsame Zeit, beide sind schon seit dem C-Kader zusammen gewesen. Auch die anderen, die dazu gekommen sind, die passen menschlich gut dazu.

Welche Rolle hat das Material bei der Saisonvorbereitung in diesem Jahr gespielt?

Schuster: Material ist immer ein wichtiges Thema. Es kommt immer darauf an, welchen Schwerpunkt man wählt. In den letzten Jahren wurde sehr viel im Bindungsbereich getüftelt, dort sehe ich international allerdings keinen Quantensprung mehr. Man muss auf allen Ebenen wie Anzüge, Schuhe, etc. bereit sein. Wir haben eine vierjährige Kooperation mit dem FES (Institut für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten; Anm. d. Red.) hinter uns und wollen diese auch fortsetzen. Die Weichen sind gestellt, um führend im internationalen Spitzenfeld zu sein.

Die FIS hat während des Sommer-Grand-Prix einen neuen Wettkampfmodus getestet, der im Winter allerdings nicht mehr zum Einsatz kommen wird. Denken Sie, dass es eine gute Idee ist, das Skispringen für den Zuschauer attraktiver zu gestalten?

Schuster: Es gab immer wieder Regeländerungen, die man im Sommer getestet hat. Ich habe allerdings nicht gespürt, dass die letzte Änderung unserer Sportart einen Schub hätte geben können. Ich denke, man sollte Irritationen vermeiden – der Sport lebt schließlich davon, dass die Besten im Paket zum Schluss des Wettkampfes springen.

Ihr Vertrag beim Deutschen Skiverband läuft nach der kommenden Saison ab. Gab es schon Gespräche über eine Verlängerung?

Schuster: Wir haben uns im Frühjahr zusammengesetzt und wollen jetzt im Herbst noch einmal darüber sprechen – allerdings machen wir uns in der Hinsicht keinen Stress. Ich habe die Weichen so gestellt, dass das System langfristig mit mir aber auch ohne mich funktioniert. Im Moment macht es mir sehr viel Spaß, die Chancen stehen nicht so schlecht, dass es weitergeht.

Wie hat Olympia-Gold die Mannschaft verändert oder sie in den vergangenen Monaten beeinflusst?

Schuster: Ich habe nicht so viel bemerkt, die Verpflichtungen und Einladungen haben sich bei mir in Grenzen gehalten. Bei den Sportlern war mehr los, sie hatten bis zur ersten Phase im Juli schon einige Verpflichtungen. Die jungen Sportler mussten wir ein bisschen lenken und ihnen beratend zur Seite stehen, denn beispielsweise Marinus Kraus war noch nie in so einer Situation. Insgesamt war es aber gar nicht so dramatisch. Für das Team war es einfach wichtig zu sehen, dass wir etwas auf der Habenseite haben und wir jeden Tag die Besten sein können. Auch für mich persönlich war es wichtig, eine Bestätigung zu erhalten und zu sehen, dass die Arbeit Früchte trägt. Aber ich will mit dieser Mannschaft noch mehr erreichen: Tournee, Weltmeisterschaft, Gesamt-Weltcup –Ziele gibt es genug. Die Mannschaft ist noch jung und hat noch viel Potenzial für die Zukunft.

Bei Olympia hat es geklappt, bei der Vierschanzentournee sind die deutschen Skispringer in der Vergangenheit aber nicht ganz vorne gewesen. Ist nach dem Erfolg von Sotschi die Zeit reif für einen Erfolg bei der Vierschanzentournee?

Schuster: Die Tournee ist definitiv ein Ziel. Es liegt an uns, dass wir es noch nicht hinbekommen haben. Wir hatten in der Vergangenheit einige gute Anläufe, konnten es aber noch nie durchziehen. Die Vierschanzentournee hat eine spezielle Eigendynamik, die man im vergangenen Winter bei Thomas Diethart gesehen hat – er kam aus dem Nichts, ist wie auf Wolke 7 gesprungen und muss aktuell um den Anschluss kämpfen. Jetzt sind wir aber nach bestem Wissen und Gewissen vorbereitet, die Sportler sind nun ein Jahr reifer. Severin Freund hat mit seinem Sieg bei der Skiflug-WM noch einmal Substanz geschöpft und auch die anderen haben gesehen, dass einer von uns auch ein großes Ding gewinnen kann. Es ist mir ein persönliches Anliegen, diese Veranstaltung gut zu absolvieren. Die Plätze sechs, sieben oder zehn sind nicht unser Anspruch – wir wollen schon um den Sieg mitspringen. Die Vierschanzentounee ist unser erstes großes Saisonziel.

Wem ist ein Sieg bei der Vierschanzentournee zuzutrauen?

Schuster: Severin Freund hat zuletzt in Oberstdorf gute Sprünge gezeigt, bei Richard Freitag ist es in den vergangenen Jahren an der Form gescheitert. Bei Andreas Wellinger bin ich vorsichtig, weil er vor der Doppelbelastung mit Abitur und Sport steht und es somit ein Erfolg wäre, wenn er sich im dritten Jahr in der Mannschaft etabliert. Ich denke, es sind aus heutiger Sicht drei Leute, die für einen Sieg bei der Tournee in Frage kommen, wobei auch Marinus Kraus nicht zu unterschätzen ist aber auch Überraschungen nicht auszuschließen sind. Die Jungs müssen einfach in guter Form anreisen, mit einem guten Start auf die Welle aufspringen und nicht mehr herunterfallen.

Mit Thomas Morgenstern hat einer der Top-Skispringer der vergangenen Jahre seine Karriere beendet. Was denken Sie über seine Entscheidung?

Schuster: Für mich war sein Schritt gut nachvollziehbar. Ich kann nur meinen Hut ziehen, mit welcher Ehrlichkeit er mit der Sache vor sich selbst umgeht. Ich hatte mit verletzten Sportlern zu tun, von denen nicht jeder so ehrlich zu sich selbst war, speziell wenn die Angst thematisiert wird. Davon kann sich der ein oder andere Sportler eine Scheibe abschneiden. Er hat vernünftig entschieden, schließlich hat er alles gewonnen und der Preis war hoch. Mit seinen jungen Jahren hat er nun alle Möglichkeiten, etwas anderes zu machen. Hut ab vor seiner Entscheidung!

Wie im Vorjahr startet die Weltcup-Saison 2014/2015 wieder in Klingenthal. Erhoffen Sie sich einen Schub vom ersten Heimspringen zu Beginn der Saison?

Schuster: Heimspringen sind immer Fluch und Segen zugleich. Wir haben viele Heimspringen – das ist einerseits reisetechnisch toll, anderseits kann man sich keine Auszeiten nehmen, man sollte immer präsent sein. Wir müssen zum Zeitpunkt des Saisonbeginns schon fit sein und hoffen darauf, dass Wind und Wetter den Wettkampf nicht zu sehr beeinflusst. Wir sind seit vielen Jahren und sehr gerne in Klingenthal, aber einen Wettkampf bei totaler Windstille habe ich noch nie erlebt. Grundsätzlich fahre ich zum ersten Wettkampf aber lieber mit dem Auto, als dass ich zehn Stunden im Flugzeug sitze. In der Summe ist es damit mehr Segen als Fluch, Zuhause in die Saison starten zu können.

Für die anstehende Saison viel Erfolg. Herzlichen Dank für das Gespräch.

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