Mit großen Hoffnungen zur Vierschanzentournee angereist, nach dem Auftakt in Oberstdorf auf dem Boden der Tatsachen gelandet: Bundestrainer Werner Schuster findet im Interview nach dem Auftakt-Debakel deutliche Worte.
Auch nach 13 Jahren wird es bei der Vierschanzentournee keinen neuen Gesamtsieger aus Deutschland geben. Nach dem enttäuschenden Auftaktspringen in Oberstdorf hakt Bundestrainer Werner Schuster die Gesamtwertung vorzeitig ab, stattdessen hofft er auf Erfolgserlebnisse in den Tageswertungen. Im Interview nach dem Wettkampf findet der Österreicher deutliche Worte und zeigt sich enttäuscht über die Leistungen der beiden Hoffnungsträger Severin Freund und Richard Freitag.
Herr Schuster, der Auftakt der diesjährigen Vierschanzentournee war sicherlich eine der größten Enttäuschungen für Sie. Wie bewerten Sie den Wettkampf?
Werner Schuster: Wir haben schon einiges durchgemacht, sind bei einer Weltmeisterschaft nicht in den zweiten Durchgang gekommen. Aber wir hatten noch nie mit derart hoher Qualität so einen schlechten Wettkampf – das ist schon erstaunlich. Wenn mir im Hotel jemand gesagt hätte, dass Marinus Kraus nach dem ersten Durchgang unser bester Springer ist, wäre ich lieber im Hotel geblieben. Marinus hat nach durchwachsenen Trainingssprüngen wirklich eine fantastische Leistung geboten, das war gigantisch. Aber dass unsere Spitzenleute so daneben hauen, ist eine Katastrophe. Sportlich gesehen ist dieses Ergebnis weit unter unseren Möglichkeiten und sehr, sehr enttäuschend.
Was sind die Gründe für diese Katastrophe?
Schuster: Das liegt nicht auf der Hand. Severin Freund und Richard Freitag haben das Zeug dazu, Spitzenplätze machen. Wir sind es heuer deutlich offensiver angegangen, haben mit breiter Brust gesagt, dass wir die Qualitäten haben und uns nicht immer verstecken können. Das hat gut gefruchtet, wir hatten ein gutes Training und auch die Qualifikation habe ich im Rahmen gesehen. Man hat im Probedurchgang gesehen, dass die Jungs ganz gut drauf sind. Es war eine lange Wartezeit und wir mussten die Energien bündeln, aber dann ist es im ersten Durchgang gekippt. Severin ist selbst extrem enttäuscht, er weiß nicht, wie ihm das passieren konnte. Mit der Aufgabe, so schlecht wie möglich zu springen, wäre er vielleicht nicht so schlecht gesprungen wie heute. Beide wollten das offensiv angehen und haben eine Ohrfeige bekommen.
So enttäuscht wie heute hat man Severin Freund selten erlebt. Wie bekommen Sie ihn vor Garmisch-Partenkirchen wieder in die Spur?
Schuster: Jetzt haben wir einen Tag Pause. Die Erwartungshaltung ist nun am Boden – daher können wir nur noch gewinnen. Ich möchte das Ding noch drehen. Die Tournee-Gesamtwertung werden wir nicht gewinnen, aber wir werden alles daran setzen, bis Bischofshofen noch Erfolgserlebnisse zu haben. Der Unterschied zum letzten Jahr ist, dass die Qualität höher ist. Das wollen wir bei den nächsten drei Stationen nachweisen.
Sind die Athleten im Kopf verkrampft, weil sie immer zum Start der Tournee diesen Knick haben?
Schuster: Dem kann ich heute nicht widersprechen, das ist definitiv so. Sie haben sich viel vorgenommen, wir haben das Umfeld dementsprechend gestaltet. Sie wollten das mit ihrer Routine und den bisherigen Erfahrungen bestmöglich machen, aber es ist komplett nach hinten losgegangen.
Woran lag es bei Freund und Freitag konkret im Sprung?
Schuster: Bei Severin war es ein Fehler, den ich bei ihm ewig nicht mehr gesehen habe. Er war zweimal katastrophal zu spät. Er ist eigentlich ein Springer, der eher zu früh abspringt. Eigentlich ist er aber immer pünktlich auf dieser Schanze, auf der er schon zehntausend Mal gesprungen ist. Es ging eher darum, eine Art Zusatzenergie zu erzeugen – das tiefe Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten war nicht da. Das hat sich in beiden Durchgängen dadurch geäußert, dass er deutlich zu spät war. Bei Richard ist es das gleiche Grundprinzip, aber er ist eher zu früh. Das kann man sich hier nicht leisten. Beiden Jungs ist es nicht gelungen, diese innere Balance herzustellen.
Kaum hat die Tournee begonnen, sind die Österreicher wieder vorne. Woran liegt das?
Schuster: Sie haben über Jahre etwas aufgebaut, haben ein anderes Führungsteam, alles ausgewechselt und sind mit zwei jungen Leuten vorne dabei. Sie haben dieses Selbstverständnis, ähnlich wie die deutsche Fußball-Nationalmannschaft. Die machen vor der Weltmeisterschaft auch oft Rumpelfußball, spielen dann aber sensationell, weil jeder mit breiter Brust hingeht. Wir haben über Jahre versucht, dieses Selbstverständnis aufzubauen – das ist uns in einigen Wettbewerben gelungen, bis hin zur Olympiamedaille. Aber hier ist es uns nicht gelungen. Wenn wir das in den nächsten zwei bis drei Jahren positiv gestalten wollen, dann sollte es uns nun gelingen, diese Tournee in Einzelwettkämpfen noch zu drehen. Das ist unser Auftrag, den wir in Garmisch versuchen umzusetzen.
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