Die Skiflug-WM ist fest in norwegischer Hand, allen voran Daniel-André Tande glänzt bei den Titelkämpfen in Oberstdorf. Richard Freitag feiert ein fulminantes Comeback. skispringen.com blickt zurück – die Tops & Flops des Skiflug-Wochenendes.
Als sich die Nachricht des vorzeitigen Abbruchs des vierten Durchgangs im Aufwärmraum der Heini-Klopfer-Skiflugschanze verbreitete, flossen bei Daniel-André Tande die Tränen. Überwältigt von seinen Gefühlen nahm der Norweger, der am Mittwoch seinen 24. Geburtstag gefeiert hat, die Glückwünsche seiner Teamkollegen sowie die der Konkurrenten entgegen. Weltmeister im Skifliegen – das musste der sensible Blondschopf erst einmal verarbeiten: „Es ist schlecht zu beschreiben, was einem an Emotionen so durch den Körper strömt. Da brauchst du ein paar Minuten.“
Triumph mit Vorgeschichte
Gute zwölf Monate ist es her, da flossen bei Tande schon einmal die Tränen – ausgelöst durch sein folgenschweres Missgeschick beim Finale der letztjährigen Vierschanzentournee, als er mit allen Chancen auf den Gesamtsieg vor dem letzten Sprung vergaß, einen Bindungsclip richtig zu befestigen, und daraufhin beinahe zu Sturz kam. Es war der bis dahin schwerste Moment in der noch jungen Karriere des Daniel-André Tande – doch die bittere Erfahrung von Bischofshofen hat ihn stärker gemacht.
In Oberstdorf erlebt Tande nun den vorläufigen Höhepunkt seines Skispringerlebens. Mit 23 Jahren darf er sich Weltmeister im Skifliegen nennen – und das, nachdem er die Konkurrenz über das gesamte Wochenende beinahe nach Belieben dominiert hatte. Bereits die Ouvertüre zu seinen persönlichen Festspielen gestaltet Tande zu seinen Gunsten, als er in der Qualifikation mit 238,5 Metern einen neuen Schanzenrekord aufstellt. Im ersten Hauptakt am Freitag lässt er Flüge auf 212 und 227 Meter folgen, welche ihn bereits zur Halbzeit zum ersten Anwärter auf WM-Gold machen. Der aufgrund des zu stark wehenden Windes verkürzte zweite Akt am Samstag schließlich lässt auch die letzten Zweifler verstummen, ein Flug auf 200 Meter reicht Tande zum hochverdienten ersten Einzeltitel seiner Karriere.
Team Norwegen unschlagbar
Zusätzlich motiviert durch seinen persönlichen Triumph zeigt sich der frischgebackene Weltmeister auch im abschließenden Mannschaftswettbewerb in Topverfassung und führt das von Alexander Stöckl dirigierte norwegische Quartett, dem neben Tande auch Robert Johansson, Andreas Stjernen und Johann Andre Forfang angehören, im Grande Finale zu Team-Gold. Mit einem überlegenen Vorsprung von 46,4 Punkten vor den zweitplatzierten Slowenen verteidigen die Skandinavier ihren Titel von 2016. Dass die Norweger über eine geschlossene Mannschaft verfügen, hatte sich bereits im Einzel angedeutet, Stjernen als Fünfter, Forfang als Achter sowie der neuntplatzierte Johansson rundeten Tandes Meisterstück ab. Dieser Nation kann im Skifliegen derzeit niemand das Wasser reichen kann, das haben die WM-Tage von Oberstdorf eindrucksvoll bewiesen.
Dass die starken Norweger im Team-Wettbewerb kaum zu schlagen sein werden, war dem deutschen Bundestrainer Werner Schuster im Vorfeld durchaus klar gewesen. Dass es am Ende jedoch nicht einmal zu einer Medaille, sondern nur zum undankbaren vierten Platz reichen sollte, sorgte im DSV-Lager dann aber doch für enttäuschte Gesichter. „Wir waren als Team einfach zu schlecht“, gab Markus Eisenbichler unumwunden zu, während Schuster analysierte: „Im Endeffekt muss man sagen, dass es von der Qualität her das Quäntchen zu wenig war. Wir sind nicht breit genug aufgestellt gewesen, um heute verdient eine Medaille mit nach Hause zu nehmen.“ Die dem DSV-Team leistungstechnisch abgehende Geschlossenheit machte sich vor allem in Person von Eisenbichler und Stephan Leyhe bemerkbar, der seine Stärken auf Flugschanzen nur schwerlich zur Geltung bringt.
Stehaufmännchen Freitag beeindruckt
Der abschließenden Enttäuschung ging jedoch die Freude über das mit Edelmetall garnierte Comeback von Richard Freitag voraus. Der Sachse, der nach seinem verletzungsbedingten Ausscheiden während der Vierschanzentournee einige Wochen pausieren musste, kehrte in Oberstdorf eindrucksvoll ins Wettkampfgeschehen zurück und zeigte von Beginn an derart starke Leistungen, dass nichts auf seine seit seinem Sturz in Innsbruck schmerzende Hüfte hindeutete. Mit Flügen auf 228 und 225 Meter katapultierte sich der 26-Jährige nach dem ersten Wettkampftag am Freitag auf Platz zwei und saß dem späteren Weltmeister Tande im Nacken. Ein kleiner Fehler im abschließenden Sprung am Samstag machten dem Traum von ganz großen Triumph zunichte, der Freude über die Bronzemedaille tat dies jedoch keinen Abbruch: „Ich muss das erst mal verarbeiten. Es ist unglaublich, was mit den paar Flügen passiert ist.“
Auch Werner Schuster war voll des Lobes über seinen wiedergenesenen Schützling: „Ich freue ich mich riesig. Richard hat sich die Medaille redlich verdient, sie ist extrem wertvoll. Er hat körperlich und mental super gearbeitet.“ Zufrieden mit seinem Abschneiden zeigte sich auch Andreas Wellinger, der in jedem der drei Durchgänge die 200-Meter-Marke knackte und schließlich auf Rang sieben landete. Markus Eisenbichler, der seine Flugqualitäten nicht vollständig abrufen konnte, wurde Elfter, Stephan Leyhe 20. Unter dem Strich stand am Ende ein zufrieden stellendes deutsches Resultat, das I-Tüpfelchen allerdings fehlte durch die verpasste Teammedaille.
Zweifaches Edelmetall für Team Polen
Mit zwei WM-Plaketten im Gepäck reisen dafür die Polen zum Heim-Weltcup nach Zakopane. Angeführt von einem starken Kamil Stoch, der am vergangenen Wochenende beim Skifliegen am Kulm noch schwächelte, hielt die polnische Mannschaft die Konkurrenz aus Deutschland im Teamwettbewerb in Schach und sicherte sich mit einem Vorsprung von 10,9 Punkten auf das DSV-Team die Bronzemedaille. Das Ausgeglichenheit im Quartett von Trainer Stefan Horngacher wurde dabei zum entscheidenden Faktor, weder Stoch noch die Teamkollegen Piotr Zyla, Stefan Hula und Dawid Kubacki, der mit einem beeindruckenden Flug auf 221,5 Meter das Edelmetall absicherte, zeigten gravierende Schwächen.
Für Kamil Stoch war der dritte Platz mit dem Team die Krönung einer für ihn ohnehin schon erfolgreichen Weltmeisterschaft. Im Einzelwettbewerb hatte sich der diesjährige Grand-Slam-Sieger der Vierschanzentournee die Silbermedaille gesichert, nachdem er im dritten Durchgang den bis dato zweitplatzierten Richard Freitag noch verdrängen konnte. Mit einem Rückstand von 13,3 Punkten auf Weltmeister Tande wäre sogar ein Angriff auf die Spitze im vierten Durchgang denkbar gewesen, ein von Erfolg gekröntes Unterfangen hätte Stoch auf eine Stufe mit Matti Nykänen gehievt, der als bislang einziger Skispringer den Gesamtweltcup, Olympia-Gold, die Vierschanzentournee sowie die Titel bei der Nordischen- und der Skiflug-WM gewinnen konnte. Am Ende machte jedoch der Wind diesem Vorhaben einen Strich durch die Rechnung.
Slowenen überraschend stark, Österreich erwartungsgemäß schwach
Für die große Überraschung dieser WM sorgten zweifelsohne die Slowenen. Im Einzelwettbewerb ließ einzig der mehr und mehr zu seiner Form zurückfindende Peter Prevc als guter Sechster aufhorchen, Anze Semenic (14.), Jernej Damjan (15.) und Domen Prevc (21.) hatten mit den vorderen Plätzen nichts zu tun. Die plötzliche Leistungsexplosion im Teamwettbewerb, an dessen Ende die Silbermedaille hinter den siegreichen Norwegern stand, dürfte selbst Trainer Goran Janus überrascht haben, bei der Konkurrenz jedenfalls hinterließ sie Staunen. „Ich weiß ehrlich nicht, warum es heute so gut ging. Ich kam aus dem Probedurchgang gut raus und danach ging alles leicht und einfach“, zeigte sich auch Domen Prevc ob der eigenen Darbietung mit Sprüngen auf 214 und 216 Meter positiv überrascht. Für das zuletzt schwächelnde slowenische Team bedeutet der Mannschaftserfolg einen wichtigen Schritt nach vorne. Können Prevc und Co. in den kommenden Wochen daran anknüpfen, ist auch bei Olympia wieder mit den Slowenen zu rechnen.
Die Krise der österreichischen Nationalmannschaft hingegen fand bei den Flugfestspielen von Oberstdorf seine Fortsetzung. Einmal mehr war es Stefan Kraft, der als einziger für einen Lichtblick sorgte und im Gesamtklassement des Einzelwettbewerbs einen starken vierten Platz erreichte. Von seinen Teamkollegen konnte sich aber weder Michael Hayböck, der im Einzel bei seinem ersten Sprung stürzte und auf die weiteren Durchgänge verzichtete, noch Clemens Aigner und Manuel Poppinger hervortun. Und so landete das Quartett um Trainer Heinz Kuttin auch im Teamwettbewerb abgeschlagen nur auf dem fünften Rang – mit 92,4 Punkten Rückstand auf die DSV-Adler.
Ammann langsam in Olympia-Form
Je näher die olympischen Spiele rücken, desto stärker wird Simon Ammann. Dem Schweizer hat sein auf den Saisonhöhepunkt abgestimmten Formaufbau bereits zwei Mal jeweils zweifaches olympisches Gold beschert, und auch in diesem olympischen Winter scheint Ammann mit großen Ambitionen in Richtung Pyeongchang zu blicken. Nach seinem dritten Platz am Kulm wusste der Skiflugweltmeister von 2010 mit starken Flügen auf 203,5 und 207,5 Meter auch im Einzelwettbewerb in Oberstdorf zu überzeugen, einzig ein missglückter Versuch im zweiten Durchgang verhinderte eine bessere Platzierung als Rang zwölf in der Endabrechnung. Im Teamwettkampf, in welchem er mit seinen Mannschaftskollegen Andreas Schuler, Kilian Peier und Gregor Deschwanden Rang sechs belegte, gelang ihm gar ein Satz auf 216,5 Meter. Noch fehlt Ammann ein gutes Stück zur absoluten Weltspitze, doch seine Performance in Oberstdorf zeigt, dass man den Routinier im Hinblick auf die olympischen Winterspiele keinesfalls abschreiben sollte.
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