Über ein Jahrzehnt war Spela Rogelj fester Bestandteil der Weltspitze des Damen-Skispringens. Warum sie mit 27 Jahren aufhört, ihr Entschluss frühzeitig feststand und was ihr in Erinnerung bleibt, verrät sie im Interview.
172 Mal ging sie im Weltcup an den Start, bestritt dazu alle drei Olympia- und sieben WM-Ausgaben: Ein Skisprung-Wettkampf der Damen ohne Spela Rogelj war seit 2008 kaum vorstellbar. Doch nun hat die 27-Jährige ihre Karriere beendet. 2014 schrieb sie Geschichte, als sie als erste Slowenin ein Weltcup-Springen gewann und dazu noch das gelbe Trikot der Gesamtweltcupführenden tragen durfte. Warum es dazu beinahe gar nicht gekommen wäre und warum ihr Rücktritt unausweichlich war, verriet sie skispringen.com-Redakteur Luis Holuch im Interview.
Spela, vor ziemlich genau einem Jahr hast du in der Doku „Tamers of the wind“ von deinem Vater erzählt, der selbst Skispringer war, dass er anfangs dagegen war, dass auch du mit diesem Sport anfängst. Er begründete das damit, dass er weiß, wie viel man investieren muss, um an die Weltspitze zu gelangen. Nun hast du deine Karriere beendet. Wie ordnest du diese Aussage rückblickend ein?
Spela Rogelj: Er hat ohne Zweifel Recht behalten. Profi-Sport verlangt von dir, dass du zu vielen Dingen nein sagst. Du musst 24 Stunden am Tag und sieben Tage in der Woche auf deinen Sport fokussiert sein. Du musst entscheiden, ob du Zeit mit deinen Freunden verbringst, in den Urlaub fährst oder eben trainierst. In der Zeit, wo es dir Spaß machst, fühlt sich das aber nicht wie ein Job an. Es wird dir erst bewusst, wenn du mit Leuten darüber sprichst. Andererseits muss ich sagen, dass ich deutlich mehr Unterstützung genossen habe als er seinerzeit. Meine Familie und mein Umfeld stand immer hinter mir.
Das hat man ja dann auch in Oberhof gesehen, als du deine letzten Wettkämpfe absolviert hast. War das der perfekte Abschluss für dich persönlich?
Rogelj: Der perfekte Abschluss wäre auf der Skiflugschanze in Planica gewesen. Das ist momentan leider nicht möglich, somit wurde es am Ende Oberhof. Ich hätte dort gerne auf dem Podium abgeschlossen, aber dass 50 Leute aus Slowenien mitgekommen sind und auch meine Eltern dabei waren, war etwas besonderes.
In Oberhof, aber auch schon bei der „Raw Air“ zuvor kam es mir so vor, als hattest du nochmal eine ganz andere Energie in deinen Sprüngen. Täuscht dieser Eindruck?
Rogelj: Meine ganze Energie habe ich in die Olympischen Spiele gesteckt. Schon zu diesem Zeitpunkt war das Level meiner Sprünge sehr hoch. Ich wollte diese Medaille unbedingt, aber dazu braucht es viel: Gute Sprünge, gute Bedingungen und das Quäntchen Glück. Und das hat leider nicht geklappt. Die ein, zwei Wochen danach waren sehr hart für mich, in mentaler Hinsicht. Ich wollte die Saison eigentlich schon damals beenden und habe darüber auch mit meinen Eltern gesprochen. Doch die haben gesagt „du gibst doch niemals auf, mach weiter.“ Und so bekam ich nochmal Motivation. Mir war auch wichtig, den jungen Springerinnen zu zeigen, dass du nach dem Scheitern nochmal wieder kommen kannst.
Dein Karriereende kam ja nicht ganz aus dem Nichts. Wie genau hat sich denn für dich herauskristallisiert, dass du in diesem Frühjahr aufhörst?
Rogelj: Das erste Mal habe ich darüber schon vor zwei Jahren nachgedacht. In der Zwischenzeit hatte ich viele Gespräche, mit meinem Trainer und meinen Eltern. Nachdem ich zuletzt so gut gesprungen bin, haben sie sogar versucht, mich zu überreden, noch weiter zu machen. Ich wollte mich aber nie von meinen Leistungen blenden lassen, sondern auf höchstem Niveau aufhören.
Und es hätte auch nichts gegeben, was deine Meinung nochmal ändern hätte können?
Rogelj: Wenn es nächstes Jahr tatsächlich ein Skifliegen für uns in Planica gäbe, würde ich nochmal drüber nachdenken. Aber ich höre schon seit zehn Jahren, dass es nur mehr zwei bis fünf Jahre dauert, bis auch wir Skispringerinnen auf die Flugschanze dürfen. Und wir wissen es ja immer noch nicht, wann es endlich so weit ist.
„Wenn du ständig für diese Grundbedürfnisse kämpfen musst, macht dich das müde“
Sind es genau solche Themen, wie eben das Skifliegen, die Vierschanzentournee oder das Preisgeld, die dich maßgeblich zum Aufhören bewogen haben?
Rogelj: Ja, diese Diskussionen haben mich mürbe und müde gemacht. Für die Leute von außerhalb sind die Fortschritte von Saison zu Saison groß, aber für uns Athletinnen sind sie es nicht. Der wirklich große Fortschritt ist das Niveau und die Technik, mit der wir springen. Das Umfeld hat sich kaum verändert. Das Preisgeld ist seit Jahren gleich niedrig. Im Kalender haben wir zwar mehr Wettkämpfe, aber es fällt doch am Ende ein halbes Dutzend aus, ohne Ersatz. Ich war auch sehr enttäuscht, dass wir keine Wettkämpfe in Planica bekommen haben. Wir trainieren das ganze Jahr dort und bekommen keine Möglichkeit, Wettkämpfe „Zuhause“ zu bestreiten. Und es geht ja dann weiter mit den finanziellen und materiellen Möglichkeiten – für Trainingslager oder Ausrüstung. Wenn du ständig für diese Grundbedürfnisse kämpfen musst, macht dich das müde.
Wann ist dir denn bewusst geworden, dass es nicht nur darum geht, sich im Wettkampf zu messen, sondern eben auch um diese politische Ebene?
Rogelj: Das war mir bewusst, seitdem ich auf die internationale Bühne gekommen bin. Zu der Zeit gab es den Kampf um die Aufnahme in das olympische Programm für Vancouver 2010. Und dann ging es ja weiter mit dem Weltcup, den Teamspringen, etc.. Wir haben uns alles, was wir jetzt haben, hart erarbeiten müssen.
Wie war denn dann dein erster internationaler Wettkampf, dieser Continentalcup in Toblach/Dobbiaco am 23. Januar 2008?
Rogelj: Sehr aufregend! Ich habe meine Idole, Daniela Iraschko und Anette Sagen, zum ersten Mal live gesehen und getroffen. Da habe ich sehr große Augen gemacht (lacht). Gleichzeitig hat es aber sehr viel Spaß gemacht, dort zu sein und mich mit anderen zu messen. Und in gewisser Weise hat es mich auch stolz gemacht, dass ich mit gerade einmal 13 Jahren schon dabei sein durfte.
Zu deiner Karriere gehört aber natürlich dein Weltcupsieg am 5. Dezember 2014 in Lillehammer. Hast du irgendeine Vorahnung gehabt, dass das dein großer Tag werden würde?
Rogelj: Nein, gar nicht. Wir sind vorher auf der Eisspur in Kranj gesprungen und ich habe neue Ski getestet. Meine Sprünge waren aber richtig schlecht und ich wusste zuerst nicht warum. Mit meinem Vater bin ich dann darauf gekommen, dass der hintere Teil der Bindung nicht so mitspielt wie er soll und er hat ihn ausgetauscht. In Lillehammer war dann auch der erste Sprung nicht gut, aber dann lief es. Ich war mir sicher, dass ich es in die Top-5 schaffen könnte. Nach dem ersten Durchgang war ich Sechste und wir hatten zu der Zeit eine tolle Mentaltrainerin, sodass ich gar nicht weiter über ein Podium oder einen Sieg nachgedacht habe. Und nach dem zweiten Sprung, der wirklich gut war, hatte ich die Hoffnung, dass es ein paar Plätze nach vorne gehen kann. Als dann zunächst Sara Takanashi und dann auch Daniela Iraschko-Stolz hinter mir landeten und hinter meinem Namen die 1 aufleuchtete, konnte ich es gar nicht glauben. Es war der erste Weltcupsieg für unser kleines Slowenien im Damen-Skispringen und somit nicht nur für mich, sondern auch unser Team ein großer Moment.
Aber damit war die Geschichte ja noch nicht zu Ende, denn es wäre beinahe nicht dazu gekommen, dass du dein gelbes Trikot überhaupt mal im Wettkampf tragen konntest…
Rogelj: Dazwischen war erstmal noch eine einmonatige Pause, das war auch eine harte Zeit. Es ist schwierig, motiviert zu bleiben, wenn du in guter Form bist, aber nur trainieren und keine Wettkämpfe bestreiten kannst. Wir sind im Januar nach Japan geflogen und uns wurde bei der Ankunft gesagt, dass unsere Ski und Taschen nicht mit transportiert wurden. Im Hotel wurde uns gesagt, dass die Airline gar nicht weiß, wo die Sachen abgeblieben sind. Wir wussten erstmal gar nicht, was wir tun sollten. Zumindest hatten wir aber die Helme und Schuhe dabei. Unser Trainer sagte dann am Quali-Tag, dass wir uns warmmachen sollten, obwohl wir keine Ski hatten. Und auch Chika (Yoshida, FIS-Renndirektorin, Anm. d. Red.) sagte, wir müssen die Quali mitspringen. Dann wurde uns bewusst, dass wir uns Ski ausleihen müssten und damit fühlte sich keine von uns wohl. Aber ich war Daniela Iraschko-Stolz dann sehr dankbar, dass sie mir ihre Ski geliehen hat. Das war eine große Geste ihrerseits. Ich bin dann diesen ersten Wettkampf gesprungen und sogar auf dem Podium gelandet. Bei der Siegerehrung hatte ich meine eigenen Ski dann wieder.
Diese Saison 2014/2015 war, wenn man rein nach den Ergebnissen geht, deine beste. Kannst du dafür einen ganz bestimmten Grund ausmachen?
Rogelj: Wir hatten vor dieser Saison einen Trainerwechsel. Ich habe mich individuell in meinem Verein und mit meinem Trainer Jaroslav Sakala vorbereitet. Das war etwas ganz besonderes, jede Einheit war extra für mich gemacht. Wir haben auch auf mentaler Ebene sehr viel gearbeitet. Und ich bin bis heute dankbar dafür, dass ich diese großartigen Möglichkeiten bekommen habe. Es fühlte sich alles so leicht an, auch wenn es das natürlich nicht war. Ich habe aber jeden Moment genossen, jeden Sprung. In der Saison darauf wollte ich einfach zu viel. Ich war nicht mehr mit Platz sechs oder zehn zufrieden, es ist dann alles in sich zusammengefallen.
Würdest du sagen, dass Jaroslav deine Karriere maßgeblich geprägt hat?
Rogelj: Ich war sehr traurig, als er mir gesagt hat, dass zurück in seine Heimat, nach Tschechien, geht. Ich habe mich sehr einsam gefühlt. Er war der, dem ich am meisten vertraut habe und plötzlich war er weg. Er hat mir in vielerlei Hinsichten die Augen geöffnet und wenn du weißt, dass dein Trainer Skiflug-Weltmeister war, dann muss er einiges draufhaben. Ich musste mich auf neue Trainer einstellen, ihnen vertrauen. Damit habe ich mich schon immer schwergetan. Es war für sie auch hart, mein Vertrauen zu gewinnen. Zoran (Zupancic) hat genau das aber geschafft.
Gerade weil euer Team in den letzten beiden Saisons so erfolgreich war, waren viele über seinen Rücktritt überrascht. Wie erging es dir?
Rogelj: Ich war genauso überrascht, schließlich haben wir den Nationencup gewonnen, dazu zwei Mal Olympia-Gold und in der Saison davor einen WM-Titel und den Gesamtweltcup. Als er mir dann seine Gründe erläutert hat, konnte ich das aber sehr gut nachfühlen. Auch er ist müde davon geworden, so viel kämpfen zu müssen. Auch die Erwartungshaltung hat ihm zu schaffen gemacht. Wenn es keinen Podestplatz gab, war das schon eine Enttäuschung.
Welcher deiner vielen Podestplätze bleibt dir denn außer dem Weltcupsieg besonders in Erinnerung?
Rogelj: Das Team-Silber in Oberstdorf. Wenn du so eine Team-Medaille holst, bedeutet das, dass das Team super funktioniert. Wir haben ja auch um Gold gekämpft und waren etwas enttäuscht darüber, dass es nicht ganz gereicht hat. Aber unser Co-Trainer Anze Lavtizar hat uns klar gemacht, dass es keine Enttäuschung, sondern Edelmetall ist. Dass ich das mit meinen Freundinnen erreichen durfte, war großartig. Das wird mir noch lange in Erinnerung bleiben.
Was wirst du nun in deinem neuen Lebensabschnitt am meisten vermissen?
Rogelj: Natürlich das Fliegen auf den Schanzen, das habe ich immer geliebt. Ansonsten womöglich sogar das Reisen (lacht), denn ich bin es gar nicht gewohnt, so lange zuhause zu sein. Freundinnen und Kolleginnen so oft zu begegnen wird mir auch fehlen, das findet jetzt halt übers Smartphone statt.
Vielen Dank für das ausführliche Gespräch und alles Gute für die Zukunft!
Danke für dieses spannende Interview mit dieser so sympathischen (Ex-)Athletin.
Es tut gut wenn man über den nationalen Tellerrand hinausschaut und über die Personen und ihre Geschichten etwas erfährt. Spela war in den vergangenen Jahren eine der prominentesten Akteurinnen im Geschäft. Ich habe ihr immer Erfolg gewünscht, was sicher mit ihrer liebenswerten Ausstrahlung zu tun hat. Nun ist sie weg und das Skispringen der Frauen wird dadurch verlieren.