Im exklusiven skispringen.com-Interview spricht Severin Freund nach seiner sensationellen Rückkehr über die Ereignisse und blickt Richtung Winter.
Mit den Plätzen zwei und eins meldete sich Severin Freund nach langer Verletzungspause sensationell zurück. Im exklusiven Interview mit skispringen.com-Redakteurin Sandra Arm verrät der Bayer, was ihm bei der erfolgreichen Rückkehr geholfen hat, mit welchen Erwartungen er in den kommenden WM-Winter startet und was er von den neuesten Regeländerungen sowie Neuerungen hält.
Herr Freund, Mitte April wurden Sie an der Bandscheibe operiert. Keine sechs Monate später stehen Sie schon wieder in Hinzenbach und Klingenthal auf dem Podest. Wie sehr haben Sie die Ergebnisse selbst überrascht?
Severin Freund: Dass ich schon wieder ganz gut springen kann, haben bereits die vorherigen Lehrgänge gezeigt. Etwas überrascht war ich dann aber natürlich, dass ich das im Wettkampf gleich umsetzen konnte. Aber natürlich kann man nicht von Anfang an mit den Plätzen eins und zwei rechnen – das ist dann so passiert und war schon ziemlich cool.
Haben Sie sich nach der Operation keinen Druck über den Einstieg in die Sommer-Serie gemacht?
Freund: Ich habe von vornherein gesagt, dass ich es nicht versuchen werde, gleich im August in Hinterzarten wieder dabei zu sein. Gerade dann wäre ich wohl noch nicht so weit gewesen. Das hätte zusätzlichen Stress verursacht, das braucht man nicht. Nach der Verletzung war die Ruhe wichtig, danach konnte ich konzentriert weiterarbeiten.
Wird man nicht trotzdem irgendwann nervös und es fängt an zu kribbeln?
Freund: Es hat schon die ganze Zeit über gekribbelt und man wird nervös, vor allem wenn man die anderen Athleten springen sieht. Wenn man sieht, wie sensationell es zum Beispiel bei Andreas Wank gelaufen ist, würde man am liebsten auch direkt wieder einsteigen. Aber ich habe mich dafür entscheiden, über eine längere Zeit keine Lehrgänge zu absolvieren und mich stattdessen auf das Heimtraining zu konzentrieren.
Wie haben Sie sich in der Rolle des Zuschauers gefühlt?
Freund: Das ist eigentlich ganz interessant, die Wettkämpfe aus dieser Perspektive mitzuerleben. Aber natürlich ist es aus sportlicher Hinsicht nicht unbedingt schön, wenn man selbst nicht dabei sein kann.
Wann fiel eigentlich die Entscheidung, dass Sie in Hinzenbach an den Start gehen?
Freund: Die Entscheidung fiel relativ kurzfristig. Ich habe den Lehrgang in Predazzo überraschend gut überstanden. Ich konnte alle Einheiten mitmachen und habe mich richtig gut gefühlt. Danach haben wir uns dafür entschieden, dass ich die Bewerbe in Hinzenbach und Klingenthal sowie die Deutsche Meisterschaften bestreiten werde. Das ist nochmal ein guter Test vor dem Winter, weil durchaus ein Unterschied zwischen Training und Wettkampf besteht – für den Kopf ist es eine ganz andere Belastung.
Mit welchen Erwartungen sind Sie in Ihren ersten Wettkampf nach der Pause gegangen?
Freund: Ich wollte einfach schauen, was geht. Ziel war es, die Trainingsleistung auch im Wettkampf umzusetzen. Es war wichtig zu sehen, wie sich das mit der Anspannung verhält und den zehn Prozent, die man im Wettkampf automatisch mehr gibt – auch aus technischer Hinsicht war das wichtig.
Verspüren Sie noch Schmerzen?
Freund: Ich bin auf jeden Fall schmerzfrei, aber athletisch noch nicht auf dem Niveau, auf dem ich sein könnte. Das liegt ganz einfach daran, dass ich noch nicht so lange trainieren konnte und dementsprechend noch nicht am oberen Rand der Trainingsintensität angelangt bin. Aber wie man sieht, kommt es oft nicht einmal so sehr darauf an, ob man körperlich zu einhundert Prozent fit ist.
Wie sieht die weitere Vorbereitung aus?
Freund: Wir planen einige Lehrgänge auf Eis. Die Temperaturen werden allmählich kühler und so bekommt man einen besseren Vergleich zum Winter. Wir haben noch viel im athletischen Bereich zu tun, um zum Saisonstart fit zu sein und die Form bis zu den Höhepunkten zu halten.
Beim Blick auf die Ergebnisse brauchen Sie sich doch eigentlich keine Sorgen zu machen, oder?
Freund: Ja, im Moment ist es sehr gut. Ich bin ich auch sehr relaxt und beruhigt. Was jetzt kommt, ist einfach weitermachen und konzentriert dranbleiben. Im Endeffekt ist es trotzdem eine Momentaufnahme – zwar eine sehr schöne, aber im Winter kommt es darauf an und wir müssen mal schauen, was sich bis dahin noch tut.
Ihr Teamkollege Richard Freitag hat nach dem Springen in Klingenthal die Mütze vor Ihrer Leistung gezogen. Hat Sie die Geste für Sie eine besondere Bedeutung?
Freund: Man sieht, dass wir im Team mehr zusammenwachsen und uns über die Erfolge der jeweils anderen freuen können. Das ist genau das Klima, das wir brauchen, um weiter nach oben zu kommen. Momentan ist es eine ziemlich coole Situation für unsere Mannschaft, weil wir über die letzten Jahre immer besser geworden sind und langsam in den Bereich kommen, in dem wirklich ein ordentlicher Schub passieren kann.
Richard war letzte Wintersaison sensationell – jetzt hat er vielleicht noch ein paar Probleme, aber ich bin mir sicher, dass er sich im Winter wieder ähnlich stark präsentieren wird. Gerade so eine zweite Saison, die ich im vergangenen Jahr selbst erlebt habe, ist schwieriger als die erste. Ich glaube trotzdem, dass Richard auf einem guten Weg ist.
Vor Ihrem Comeback haben Sie gesagt, dass die Ergebnisse im Sommer zweitrangig sind. Welche Erkenntnisse nehmen Sie mit in die weitere Vorbereitung?
Freund: Aus den Wettkämpfen nehme ich mit, dass es schon ganz gut funktioniert, dass ich die Leistung halten kann. Gerade der zweite Sprung in Klingenthal war sehr wichtig, weil so etwas eine ganz schwierige Situation ist – wenn man als letzter oben steht und es eine Verzögerung gibt. In dieser Situation bekommt man mit, dass die Bedingungen wohl nicht optimal sind. Unter diesen Umständen den besten Sprung der letzten Tage zu machen, ist sehr viel wert.
Die Umsetzung der Regeländerungen haben Sie zunächst an Ihren Teamkollegen beobachten können.
Freund: Ich muss sagen, dass unser Team und die Trainer das ziemlich intelligent gelöst haben. Als Springer fragt man sich zuerst immer, was das soll. Es hat vorher funktioniert und es war schön, zu springen. Man denkt eigentlich zuerst über die negativen Auswirkungen der Änderung nach. Die Trainer haben aber immer wieder betont, dass das nun eben festgelegt wurde – man kann nichts daran ändern, man muss sich einfach damit abfinden und eine konsequente Vorbereitung angehen.
In meiner Situation war es gar nicht so schlecht, dass ich nicht von Anfang an gesprungen bin, sondern überlegen konnte, welche Vorteile ich aus dieser Änderung ziehen kann. Ich glaube, es kommt meinem Sprungstil entgegen. Ich glaube sogar fast, dass es sich auf das Springerische positiv auswirken könnte: Natürlich hatte ich einige Sprünge, die sich gar nicht gut angefühlt haben, weil man einfach deutlich mehr Geschwindigkeit aufnimmt. Ich bin mir daher aber nicht sicher, ob es auf großen Schanzen unbedingt schlechter funktionieren muss als früher.
Haben Sie bereits negative Begleiterscheinungen durch die neuen Anzüge festgestellt?
Freund: Klar, am Anfang war es einfach ungewohnt und der Anzug ist ziemlich unbequem. Ich denke auch, dass man mit dem Anzug ganz früh landet, wenn einem die entsprechenden Bedingungen fehlen. Zuvor konnte man mit dem alten Anzug immer noch ein bisschen etwas gut machen – diese Möglichkeiten sind inzwischen nicht mehr so wirklich vorhanden. Der Anzug sorgt dafür, dass das Feld bei wechselhaften Bedingungen breiter gestreut wird.
In den vergangenen Jahren wurden immer wieder Regeländerungen am Anzug, an der Bindung oder am Ski durchgeführt. Wie siehen Sie die Entwicklung des Skispringens auch unter dem Gesichtspunkt der Regeländerungen?
Freund: Bei der Bindung bin ich wahnsinnig froh, dass es nicht komplett eingeschränkt wurde. Ich finde es sehr interessant, an ihr herumzutüfteln, um für sich die perfekte Lösung zu finden. Ganz ähnlich wird es zukünftig beim Anzug sein – kleine Änderungen wird es sicherlich geben. In der Stoffhärte gibt es minimale Anpassungen, wo sich etwas rausholen lässt.
Ansonsten bin ich der Meinung, dass man nicht unbedingt so viele Regeländerungen benötigt. Dennoch hat sich beispielsweise die Windregel, die zu Beginn extrem kritisch beäugt wurde, als positive Entwicklung herausgestellt. Ich denke aber, dass man es auch schaffen sollte, diese Regelung für die Zuschauer im Stadion noch transparenter zu machen – beispielsweise wie es bei der Vierschanzentournee schon gemacht wurde. Es ist nicht gut, wenn die Zuschauer im Stadion das Geschehen nicht einordnen können.
Was halten Sie vom „roten Knopf“, wodurch den Trainern selbst die Möglichkeit gegeben wird, eine Verkürzung des Anlaufs zu veranlassen?
Freund: Das ist eine Regelung, die ich sinnvoll finde. Ganz einfach weil die Trainer wissen, wie der jeweilige Springer mit den Bedingungen zurecht kommt – gerade wenn es in gefährliche Regionen gehen könnte. So ist es möglich, schneller darauf zu reagieren. Zudem denke ich nicht, dass jeder Trainer fünf Mal im Durchgang den Anlauf verkürzen wird.
Kommen wir zu einem ganz aktuellen Thema: Es besteht die Idee, im Fußballstadion von Warschau ein Weltcup-Skispringen auszutragen. Was halten Sie davon?
Freund: Ich finde die Idee grundsätzlich extrem cool, wenn man es umsetzen kann. Man muss es aber wiederum intelligent umsetzen, denn es bringt nichts, wenn wir auf einer 40- oder 50-Meter-Schanze springen. Es sollte dann schon ein sportlich hochwertiger Wettkampf sein.
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