Mit den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang stehen die Skispringer vor dem Höhepunkt dieser Saison. Kann Kamil Stoch Doppel-Gold von Sotschi wiederholen? Gibt es die erste deutsche Einzel-Medaille seit 16 Jahren? skispringen.com macht den Favoritencheck.
„Olympiasieger“ – für fast alle Sportler ist Olympisches Gold das größte Karriereziel. In den kommenden zwei Wochen werden sich zahlreiche Wintersportler im südkoreanischen Pyeongchang diesen Karrierewunsch erfüllen können. Vom 9. bis 25. Februar finden dort die 23. Olympischen Winterspiele statt.
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Vor vier Jahren krönte sich der Pole Kamil Stoch in Sotschi zum Doppel-Olympiasieger. Als erst dritter Skispringer in der Geschichte nach Matti Nykänen (1988) und Simon Ammann (2002, 2010) gewann er auf der Normal- und der Großschanze. Mannschafts-Olympiasieger wurden die DSV-Skispringer in der Besetzung Marinus Kraus, Andreas Wank, Andreas Wellinger und Severin Freund. Von diesen Vieren ist allerdings nur Wellinger in Pyeongchang dabei.
Welche Chancen er und Richard Freitag in Südkorea haben und welche internationalen Konkurrenten ihnen gefährlich werden könnten, zeigt skispringen.com im großen Olympia-Favoritencheck:
Top-Favoriten:
Kamil Stoch (Polen): Als Gesamtweltcup-Führender fährt man automatisch als Favorit zu einem Großereignis. Doch Kamil Stoch wird sich davon nicht aus der Ruhe bringen lassen, so wenig wie er es in Bischofshofen getan hat, als er seinen historischen Grand-Slam-Erfolg bei der Vierschanzentournee perfekt machte. Dazu holte der 30-Jährige Einzel-Silber und Mannschafts-Bronze bei der Skiflug-WM. Außerdem gewann er kurz vor der Abreise nach Pyeongchang noch die Premiere des „Willingen Five“. Polens Sportler des Jahres 2017 reist als Titelverteidiger nach Südkorea, denn vor vier Jahren in Sotschi wurde er Doppel-Olympiasieger und endgültig zum polnischen Nationalhelden. Bereits ein Jahr zuvor wurde er Weltmeister auf der Großschanze. Der Springer aus Zakopane kann also Großereignisse und auch an Pyeongchang hat er gute Erinnerungen: Beim Weltcup 2017 wurde er Dritter auf der Großschanze. Nicht nur im Einzel, sondern auch im Mannschafts-Wettbewerb hat er sehr gute Chancen. Seine Erfolgswelle wird auch bei Olympia weitergehen, erneutes Doppel-Gold scheint aber angesichts der starken internationalen Konkurrenz unwahrscheinlich.
Richard Freitag (Deutschland): Zu dieser internationalen Konkurrenz zählt natürlich Richard Freitag. Der Gesamtweltcupzweite ist aktuell in der Form seines Lebens. Das beweisen nicht nur seine acht Podestplätze und drei Saisonsiege, sondern auch sein starkes Comeback bei der Skiflug-WM nach seinem bitteren Sturz beim Bergiselspringen in Innsbruck. Nach dem Sturz ließ er zwei Weltcups aus, nur um dann bei der Heim-WM in Oberstdorf im Einzel zu Bronze zu fliegen. Beim „Willingen Five“ ließ er am Samstag einen weiteren Podestplatz folgen. Am Sonntag hatte Freitag großes Windpech, weshalb der 28. Platz bei der unmittelbaren Olympia-Generalprobe wenig Aussagekraft hat. Beim Mannschafts-Olympiasieg 2014 war er nur fünfter Mann und musste zuschauen wie seine Kollegen zu Gold sprangen. Das soll und wird ihm in Pyeongchang nicht nochmal passieren, dazu ist er aktuell auch einfach zu stark. Dennoch könnte es eine Extra-Motivation für den 26-Jährigen sein. Freitag ist ein klarer Medaillenkandidat und die größte deutsche Hoffnung auf die erste Olympische Einzelmedaille seit Sven Hannawalds Silber von der Normalschanze 2002 in Salt Lake City!
Daniel-André Tande (Norwegen): Der 24-Jährige ist definitiv das Stehaufmännchen dieser Saison. Auf einen guten Saisonstart folgte eine für seine Verhältnisse sehr enttäuschende Vierschanzentournee, bei der er mit großen Hoffnungen angereist, schon in Oberstdorf mit Rang 20 alle Chancen verspielte. Doch als manche dachten Tande bräuchte eine Pause, drehte der Norweger richtig auf. Auf Platz zwei beim Skifliegen am Kulm folgte eine Woche später die Krönung zum Skiflug-Weltmeister im Einzel und der Mannschaft! Völlig überwältigt von diesem etwas überraschenden Erfolg flossen beim Norweger Freudentränen. Seitdem ist das Selbstvertrauen endgültig zurück, was ihm in Willingen am Samstag einen weiteren Weltcupsieg und Rang drei in der „Willingen Five“-Wertung einbrachte. Zusammen mit Johann Andre Forfang bildet er das norwegische Top-Duo. In der Mannschaft gilt Norwegen neben Polen als Top-Favorit, aber auch im Einzel hat Tande sehr gute Chancen!
Weitere Favoriten:
Johann Andre Forfang (Norwegen): Mit seinem Sieg bei der Olympia-Generalprobe am Sonntag in Willingen hat sich der 22-Jährige endgültig in den Favoritenkreis gesprungen. Rechtzeitig zu den Olympischen Spiele scheint seine Form zu stimmen. Mit der Mannschaft gelangen ihm in dieser Saison schon drei Siege und Team-Gold bei der Skiflug-WM. Nach der Tournee sprang er, mit Ausnahme der Disqualifikation am Kulm, immer unter die Top neun und dank seines zweiten Weltcupsiegs seiner Karriere wurde er Zweiter in der „Willingen Five“-Wertung. Der Junioren-Weltmeister von 2015 ist neben Tande die wichtigste Stütze in der norwegischen Mannschaft. Aktuell ist er Fünfter im Gesamtweltcup. In seiner aktuellen Verfassung könnte es in Pyeongchang sogar zu mehr reichen.
Andreas Wellinger (Deutschland): Als Dritter im Gesamtweltcup hätten einige Andreas Wellinger sicher im Kreis der Top-Favoriten vermutet, doch dem 22-Jährigen scheinen aktuell ein paar Prozent zu den Stochs, Freitags und Tandes zu fehlen. Nach seinem starken zweiten Platz bei der Vierschanzentournee, reiste er als einer der Top-Favoriten zur Skiflug-WM nach Oberstdorf, wurde aber „nur“ Siebter. In Zakopane sprang er zwar aufs Podest, doch die Konstanz um Stoch oder Freitag dauerhaft herauszufordern hat er momentan nicht. Andererseits reicht bei Olympia ein sehr guter Tag um zum Helden zu werden. Zudem hat er den Vorteil, dass er Olympische Spiele schon kennt, 2014 wurde er mit 18 Jahren Team-Olympiasieger! Auch an Pyeongchang hat der Ruhpoldinger gute Erinnerungen: Beim Weltcup im vergangenen Jahr wurde er Zweiter und Dritter. Bei der WM 2017 in Lahti holte er drei Medaillen, das ist diesmal unwahrscheinlich, aber an einem guten Tag kann Wellinger auch im Einzel eine Medaille holen.
Geheimfavoriten:
Stefan Kraft (Österreich): Angesichts seiner starken Leistungen in den vergangenen Jahren, mag man es zunächst vielleicht nicht glauben, aber Stefan Kraft gibt in Pyeongchang tatsächlich sein Olympia-Debüt. Zu was der Debütant in der Lage ist, bleibt noch ungewiss. In einer ansonsten schwachen österreichischen Mannschaft war er bisher mit Abstand der Beste: Er sprang dreimal aufs Podest und wurde bei der Skiflug-WM guter Vierter. Wie das gesamte ÖSV-Team ist auch Kraft vor Olympia die große Unbekannte. Anstatt nach Willingen zu reisen, trainierte die Mannschaft von Heinz Kuttin, um in Olympia-Form zu kommen. Ob es was gebracht hat, wird sich in den nächsten zwei Wochen zeigen. Vergangene Saison wurde Kraft beim Test-Weltcup in Südkorea Erster und Zweiter und anschließend in Lahti Doppel-Weltmeister. Diese Überform hat der 24-Jährige heuer nicht, aber ihn muss man auf der Rechnung haben!
Dawid Kubacki (Polen): Zweimal Podest, zehnmal Top Ten, dazu Rang sechs in der Tournee-Gesamtwertung und als bisheriges Saison-Highlight Bronze mit der polnischen Mannschaft bei der Skiflug-WM – Kubacki hat sich in dieser Saison endgültig in der erweiterten Weltspitze etabliert. In manchen Sprüngen, speziell im Training, ist der 27-Jährige schon absolute Weltklasse. In Willingen schaffte er es als Dritter am Samstag auch im Wettkampf seine Top-Sprünge abzurufen. Gelingt ihm das auch in Pyeongchang kann der Pole für eine Überraschung sorgen.
Außerdem zu beachten:
Für Robert Johansson aus Norwegen gilt ähnliches wie für Kubacki. In einzelnen Sprüngen kann er die Top-Stars herausfordern, doch zum ganz großen Coup hat es noch nicht gereicht. Jedoch wurde der 27-Jährige Fünfter bei der Vierschanzentournee, Vierter beim „Willingen Five“ und er ist Sechster im Gesamtweltcup. Als Nummer drei im norwegischen Team kann er befreit aufspringen, weil der Fokus auf Tande und Forfang liegt. Die bisherige Saison von Maciej Kot aus Polen war als 21. im Gesamtweltcup wenig erfolgreich. Doch nach Pyeongchang kommt der 26-Jährige mit sehr positiven Erinnerungen. Vor einem Jahre feierte er auf der Normalschanze seinen ersten Weltcupsieg. Dennoch wäre eine Einzelmedaille ein Überraschung. Ähnliches gilt für den Slowenen Peter Prevc. Der Überflieger der Saison 2015/2016 hat bisher eine enttäuschende Saison hinter sich. Allerdings wurde er bei der Skiflug-WM Sechster im Einzel und gewann Silber mit der Mannschaft. Vielleicht gelingt es ihm ja auch beim dritten Saison-Höhepunkt zu glänzen.
Und einer darf in einer Olympia-Vorschau natürlich definitiv nicht fehlen: Simon Ammann! Der Schweizer ist zwar aktuell nur 20. im Gesamtweltcup, doch als Doppel-Doppel-Olympiasieger gehört er einfach in jede Olympia-Vorschau. Nach seinem Sensationserfolg 2002 in Salt Lake City wiederholte er seinen Doppel-Gold acht Jahre später in Vancouver. Gelingt dem 36-Jährigen dieses Kunststück nochmal acht Jahre später erneut? Eigentlich müsste die Antwort lauten: Nein! Doch vor Pyeongchang experimentierte er mit einem neuen Schuh und ließ Willingen aus, um zu trainieren. Das weckt Erinnerungen an Vancouver 2010, als er mit einer neuen Bindung allen davonflog. Und mit Platz drei in diesem Jahr am Kulm stand er auch schon auf dem Podest. Dennoch: Realistisch gesehen wäre schon eine Medaille eine Sensation, aber Ammann und Olympia ist eben eine ganz besondere Beziehung. Es wäre nicht das erste Mal, dass er alle überrascht.
Bereits am Donnerstag, 8. Februar, wissen wir mehr: Dann beginnen die Olympischen Spiele für die Skispringer mit der Qualifikation auf der Normalschanze. Am Samstag geht es dann ab 13:35 Uhr (MEZ) das erste Mal um Olympisches Edelmetall.
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