Er kennt sie alle, die Höhen und Tiefen des Skisprungzirkus. Der am 27. Februar 1984 geborenen Akseli Kokkonen trat im Jahre 2001 in Kuopio das erste Mal in einem Weltcup in Erscheinung und meldete sich mit einem Paukenschlag zu Wort: er wurde auf Anhieb dritter in der Qualifikation. Nachdem er einige Zeit in Stams gelebt hatte, gelang ihm der Durchbruch als Sommer-Grand-Prix-Zweiter des Jahres 2003. Im Winter 2003/2004 zählte er gemeinsam mit Thomas Morgenstern zu den viel versprechendsten Newcomern der Szene.
Höhen, Tiefen und ein drastischer Entschluss
Doch während Morgenstern auf der Überholspur blieb, wurde Kokkonen durch einen Schlüsselbeinbruch ausgebremst und konnte nicht mehr an seine früheren Leistungen anknüpfen. Nach einem frustrierenden Winter und dem Verlust seines Platzes im finnischen Weltcupteam traf er eine drastische Entscheidung: Kokkonen ließ das Skispringen und Finnland hinter sich, um in Ägypten Tauchlehrer zu werden.
Wasser statt Schnee
„Zu dieser Zeit war ich einfach mit meinem Leben nicht mehr zufrieden. Ich hatte ein Auto, Motorrad, Haus, Sponsoren und meine eigene Firma. Eigentlich hatte ich alles, was man sich wünschen konnte, aber das Skispringen wollte einfach nicht funktionieren. Ich realisierte dann, dass ich für Andere sprang, nicht für mich selbst. Wasser hingegen hat immer eine große Rolle in meinem Leben gespielt. Ich habe etliche enge Taucher-Freunde und in diesem Moment begann das Tauchen immer größeren Raum in meinen Gedanken einzunehmen. Ich tat dann das Einzige, was mir richtig erschien: Ich verschenkte alles, was ich hatte und reiste mit nur zwei Taschen nach Ägypten! Ich fühlte mich endlich wieder frei und genoss das Leben als Taucher. Es war schwierig, in Ägypten überhaupt an Skispringen zu denken, denn dort ist man in einer völlig anderen Welt.“
Militärdienst in Finnland
Doch ein Brief aus Finnland veränderte alles: Kokkonen wurde zurückgerufen, weil er noch einen Teil seines Militärdienstes ableisten musste. In diesem Zusammenhang begann der Freigeist Kokkonen wieder mit dem Skispringen: „Ehrlich gesagt, habe ich zunächst mit dem Springen wieder angefangen, um dem normalen Militärdienst zu entkommen. Plötzlich wurde mir allerdings klar, dass ich wieder gut sein konnte. Nach dem Militärdienst begann ich also wieder mit dem richtigen Training. 2007 war ich dann für das internationale Skispringen bereit. Doch ich bekam den Platz in der finnischen nationalen Gruppe in Ruka nicht, weil man mich für zu alt hielt, um gut zu sein. Der finnische Sportdirektor sagte mir, ich solle es nicht mehr versuchen. Meine Skisprung-Karriere in Finnland sei vorüber. Zu dieser Zeit wollte ich nichts mehr, als springen.“
Goodbye Finland, Norway hello!
Plötzlich klickten jedoch mehrere Bausteine ineinander: „Ich hatte einige Wochen zuvor meine Freundin in Japan kennengelernt und nun zog ich wegen ihr nach Norwegen, nach Lillehammer. Ich habe gute Freunde in Norwegen und Norwegen war der einzige Weg, wie ich weiter Skispringen konnte. Es kam also alles zusammen: Mein ganzes Leben war plötzlich in Norwegen. Meine Freunde und Familie rieten mir, dementsprechend auch meine Nationalität zu wechseln. Alles in allem war es ein Schritt, den ich auch bis heute nie bereut habe. Ich fahre zwar ab und an für eine oder zwei Wochen zum Urlaub machen nach Finnland, aber meine Heimat ist Norwegen und ich bin glücklich hier.“
Unerwartete Schwierigkeiten und große Leistungen
Von dieser Entscheidung an dauerte es jedoch fast zwei Jahre, bis Kokkonen endlich seinen norwegischen Pass in den Händen halten konnte. Unerwartete Schwierigkeiten verzögerten das Prozedere immer wieder und verwehrten Kokkonen in dieser Zeit einen Start bei internationalen Wettbewerben. Ironischerweise machte er in dieser Zeit die besten Sprünge seiner Karriere und gewann den Norges Cup zwei Mal in Folge.
„Diese Zeiten waren die Schlimmsten. Die Finnen wollten mich zurück, aber ich hatte einen Vertrag unterzeichnet, der mit nur erlaubte, in Norwegen zu starten. Zwischendurch nahmen immer wieder Springer aus dem Weltcup am Norges Cup teil. Sie zu besiegen und anschließend im Weltcup zu sehen, war hart. Langsam verlor ich die Leidenschaft für das Skispringen, vor allem die zweite Saison in Norwegen war mental sehr schwer für mich. Am Ende hatte ich das Gefühl, dass es völlig gleichgültig war, ob ich gewann oder verlor.“
Endlich Norweger!
Mit der neuen Staatsbürgerschaft kehrte jedoch im Jahre 2009 auch Kokkonens Motivation zurück. „Ich startete erfolgreich im Sommer-Continentalcup und dann auch bei den Sommer-Grand-Prix-Wettbewerben in Japan. Im Oktober wurde ich sogar norwegischer Meister. Aber nach diesem Sommer fühlte ich mich wirklich ausgebrannt. Ich bat darum, einige Wettbewerbe aussetzen zu dürfen, aber wir brauchten den Extra-Platz für den Weltcup-Start in Ruka. Der Stress setzte auch der Beziehung zu meiner Freundin so sehr zu, dass wir uns trennten. Ich zog aus unserer Wohnung aus und war quasi den Rest der Wintersaison obdachlos. Ich lebte sieben Monate aus zwei Taschen. Nun ging es mir zwar persönlich wieder besser, denn ich hatte gute Freunde um mich herum, die mich auffingen und ja sowieso schon gute Erfahrungen damit, aus zwei Taschen zu leben.“
Finanzierungsprobleme
Allerdings stagnierten Kokkonens Leistungen bis heute erneut auf einem niedrigeren Level. Nach zwei erfolgloseren Saisons sieht er sich nun mit der Problematik der fehlenden Sponsoren konfrontiert. „Hier in Norwegen kostet es alleine 3000 Euro um nur zu springen und einen Trainer zu haben. Dazu muss man dann noch all sein Equipment kaufen und natürlich die Reise- und Übernachtunskosten zu den Wettbewerben. Zeit, um zu arbeiten bleibt bei zwei Mal Training am Tag und das sechs Tage die Woche auch nicht wirklich. Vom norwegischen Skiverband habe ich in dieser Saison ein Paar Skier und Schuhe bekommen, das ist alles. Man ist als Springer also wirklich auf seine Eltern und Sponsoren angewiesen. Mein größter Sponsor war immer die Firma meines Onkels. Ohne ihn hätte ich nie Skispringer werden können. Unsere privaten Sponsoren dürfen wir bei internationalen Wettbewerben allerdings nicht zeigen.“
Should I stay or should I go?
Kokkonen steht nun also wieder am Scheideweg. „Ich habe immer noch das Gefühl, ein erfolgreicher Springer werden zu können, aber ich muss das auf meine Art machen. Man kann nicht gut springen, wenn das eigene Leben nicht in der Balance ist und man nicht seinen eigenen Stil findet. Meine letzten zwei Jahre zeigen dies. Am Ende habe ich mich auf Video gar nicht mehr erkannt. So sehr war ich darauf aus, das auszuführen, was andere mir gesagt haben. Von heute an würde es bestimmt zwei Jahre dauern, um wieder richtig gut zu sein. Ich fühle mich immer noch jung und es wäre möglich, aber ich habe nach zwei Jahren des Wartens und zwei schlechten Saisons die wirkliche Leidenschaft fürs Springen verloren. Nur gute Resultate könnten dies zurückbringen. Ich plane jetzt erst einmal, mir einen normalen Job fernab des Skispringens zu suchen. Ich weiß, dass ich als Skisprung-Trainer auch viel zu geben hätte, gerade weil ich auch so viele Täler in meiner Karriere durchschritten habe und weiß, wie wichtig die mentale Ebene für einen Springer ist.“
Die große Freiheit
Allerdings haben Aktivitäten abseits des Leistungssports wie Tauchen, Surfen und Reisen auch immer eine große Rolle im Leben Kokkonens gespielt. „Tief im Inneren bin ich wie ein Vogel: Ich muss frei sei. Ich hasse Materialismus. In meiner Zeit in Ägypten habe ich in einem Slum gewohnt und war glücklich. Es hat mir wirklich die Augen geöffnet. Ich möchte fühlen, lernen und so viele neue Dinge wie möglich ausprobieren. Vielleicht ist mein wahrer Beruf wirklich Lebenskünstler (lacht).“
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