DSV-Sportdirektor im Interview

Horst Hüttel: "Deutschland war und ist ein Skisprungland"

Foto: imago / Eibner

Im skispringen.com-Interview zeigt sich Horst Hüttel beeindruckt vom ungebrochenen Zuschauerinteresse in Deutschland. Der DSV-Sportdirektor für das Skispringen spricht außerdem über die internationale Entwicklung und Änderungen im Regelwerk vor der WM-Saison.

Während sich die Sommersaison der Skispringer gerade auf der Zielgeraden befindet, wirft die anstehende Weltcup-Saison schon ihre Schatten voraus: Neben der Nordischen Ski-WM, die 2025 im norwegischen Trondheim ausgetragen wird, ist die Vierschanzentournee das alljährliche Highlight im Kalender der Skispringer. Im Interview bei skispringen.com zeigt sich Horst Hüttel, als Sportdirektor Weltcup beim Deutschen Skiverband (DSV) für das Skispringen verantwortlich, beeindruckt vom großen Zuschauerinteresse und dem schon nach wenigen Tagen ausverkauften Stadion zum Auftakt der Vierschanzentournee in Oberstdorf. Darüber hinaus spricht Hüttel auch über die internationale Entwicklung sowie Änderungen im Regelwerk in Hinblick auf die neue Saison.

Herr Hüttel, am 3. September begann der Kartenvorverkauf das Auftaktspringen der 73. Vierschanzentournee in Oberstdorf, bereits nach drei Tagen waren die 25.500 Tickets für den Wettkampf ausverkauft, und es sind nur noch Tickets für die Qualifikation zu erwerben. Wie überrascht sind Sie von dieser Nachfrage?

Horst Hüttel: Diese Dimension hat mich und unser Haus schon ein wenig überrascht. Es zeigt jedoch: Deutschland war und ist ein Skisprungland, und es scheint, dass unsere Fangemeinde immer weiter wächst. Ich denke, hier haben unsere Athleten mit den tollen Leistungen der letzten Jahre einen großen Anteil. Andreas Wellinger hat letztes Jahr in Oberstdorf gewonnen und ist bis zum Ende um den Tourneesieg mitgesprungen. Das hat eine tolle Euphorie entfacht und so etwas wirkt natürlich nach. Aber auch das Organisationskomitee Oberstdorf hat mit der Durchführung der Weltcups in den letzten Jahren neue Maßstäbe gesetzt. Hier wird ein tolles Entertainment-Programm geboten, das eine einzigartige Atmosphäre schafft. Die Zuschauer reisen mit einem guten Gefühl nach Oberstdorf an und mit einem noch besseren wieder ab. So bindet man die Menschen an unseren Sport und am Ende profitieren alle davon.

Könnten sich andere Orte hier etwas abschauen?

Hüttel: Grundsätzlich ja! In Oberstdorf ist es ja auch über Jahre gewachsen und viele Dinge haben sich von Jahr zu Jahr weiterentwickelt. Man muss jedoch schon sagen, dass es atmosphärisch am Abend unter Flutlicht etwas einfacher ist, eine tolle Atmosphäre zu erzeugen. In dieser Hinsicht hat es Garmisch-Partenkirchen, wo es um 14 Uhr losgeht, nicht so einfach.

„Wir wollen den Skisprungsport größer machen und den Athleten eine große Bühne geben“

Im Weltcup-Kalender 2024/2025 ist Deutschland mit gleich fünf Stationen vertreten. Dies ist seitens der FIS ein großer Vertrauensbeweis.

Hüttel: Die FIS, der DSV und unsere Organisationskomitees vertreten bezüglich der Weltcups die gleichen Ziele: Wir wollen den Skisprungsport größer machen und den Athleten eine große Bühne geben. Davon profitiert am Ende der Sport und auch die FIS in hohem Maße. Wir haben jedoch in diesem Jahr eine Sondersituation, denn der Skiflug-Weltcup in Oberstdorf war ursprünglich in Österreich am Kulm geplant. Hier bat jedoch der ÖSV wegen der parallel stattfindenden Alpin-WM um Übernahme. Dem ist der DSV sehr gerne nachgekommen und dies ist der Hintergrund des fünften Weltcups in dieser Saison. 2025/2026 werden wir neben der Vierschanzentournee wieder zwei weitere Weltcups austragen.

Es muss jedoch auch festgestellt werden, dass in anderen Ländern, wie beispielsweise in Norwegen, die Zuschauerzahlen rückläufig sind. In Lillehammer und am Holmenkollen waren in den letzten Jahren deutlich weniger Zuschauer als noch vor zehn Jahren. Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Hüttel: Ja, das stimmt leider. Obwohl Halvor Egner Granerud 2023 den Gesamtweltcup gewonnen hat, ist im Kernland des nordischen Skisports hinsichtlich der Zuschauerresonanz in den Stadien eine negative Entwicklung zu beobachten. Vielleicht ist es auch so, dass die Abgänge von Cheftrainer Alexander Stöckl und Sportdirektor Clas Brede Brathen und wie diese zustande gekommen sind, manche Fans in der letzten Saison irritiert haben. Beide haben über viele Jahre Großartiges geleistet und für das Land tolle Erfolge errungen. Der Abschied dieser beiden Leute war für viele Leute da draußen schwer nachvollziehbar. Man kann nur hoffen, dass es mit der anstehenden Nordischen Ski-WM im Februar in Trondheim gelingt, einen emotionalen Umschwung zu erzielen und wieder mehr Menschen den Weg in die Skisprungstadien finden. Diese zwei WM-Wochen werden sicher ein tolles Skifest werden, das Norwegen und wir alle nutzen sollten.

„Vier Länder heben sich ein Stück weit vom Rest ab“

Wie sehen Sie grundsätzlich die Zuschauerentwicklung der Sportart international?

Hüttel: Naja, sehr ambivalent. In Österreich, Slowenien, Polen und Deutschland sind die Stadien sehr gut besucht und sehr oft auch ausverkauft. Diese vier Länder heben sich derzeit ein Stück weit vom Rest ab. Andere Länder haben hier eher zu kämpfen.

Warum ist das so?

Hüttel: Ich sehe hier viele engagierte Organisationskomitees und viele Menschen, die sich permanent Gedanken machen, den Skisprungsport weiterzuentwickeln. Planica, Innsbruck, Bischofshofen, Zakopane, Willingen sind alles tolle Beispiele dafür. Die nationalen Verbände dieser vier Länder verdienen mit der Sportart Skispringen und der Vermarktung der Weltcups sehr viel Geld, welches dann wieder auf das System und auf andere Disziplinen übertragen werden kann. Hier existieren gewisse Kreisläufe und im Zentrum steht dabei ein gut funktionierender und profitabler Weltcup. Das ist der Motor des Kreislaufs und dem sind sich die Verantwortlichen der Verbände auch bewusst. Die FIS versucht, mit verschiedenen Förderkonzepten und Entscheidungen die kleineren Nationen zu stärken.

Die erste Station der Vierschanzentournee ist schon lange vor Saisonstart restlos ausverkauft: Das Auftaktspringen in Oberstdorf. (Foto: Dominik Berchtold, OK Vierschanzentournee)

Letzte Woche wurde beim FIS-Meeting in Zürich entschieden, dass die maximale Anzahl der Anzüge pro Saison limitiert wird. Wie sieht der DSV diese Entscheidung?

Hüttel: Grundsätzlich ist dies schon ein massiver Einschnitt in das bisherige Prozedere und nicht jeder hat hier gleich „Hurra“ gerufen. Dennoch finden wir die Entscheidung grundsätzlich richtig. Es ist für alle Athleten und Nationen gleich und wir alle haben nun die gleiche Zeit, um uns an das neue Reglement anzupassen. Dieses Thema wurde ja schon über einen längeren Zeitraum diskutiert, und ich hoffe, dass auch alle organisatorischen Dinge ab dem Weltcup-Start in Lillehammer gut funktionieren.

Darüber hinaus wurde von der FIS beschlossen, dass jene Nationen, die bei der Junioren-WM einen Medaille im Einzel-Wettkampf gewonnen haben, einen zusätzlichen Startplatz für einen Juniorensportler erhalten. Dies sollte helfen, junge Athleten in den Weltcup zu integrieren?

Hüttel: Diese Sonderregel gibt es schon seit vielen Jahren in der Nordischen Kombination und der ehemalige FIS-Renndirektor Walter Hofer hat schon vor 15 Jahren einmal darüber nachgedacht. Die Regel wird im Skisprung nicht personenbezogen ausgelegt, sondern rein altersbezogen, doch sie ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung. Adrian Tittel vom SC Nickelhütte Aue gewann bei der letzten Junioren-WM in Planica die Bronzemedaille, und somit hat nun Team Deutschland und Stefan Horngacher ein Jahr die Möglichkeit, Adrian oder einen anderen Sportler der Jahrgänge 2004 oder jünger im Weltcup einzusetzen, ohne einen anderen Athleten von der Basisquote streichen zu müssen. Dies ist doch eine tolle Option für beide Seiten.

Vielen Dank für das Gespräch!

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Über Marco Ries 876 Artikel
Inhaber und Chefredakteur von skispringen.com. Hat sich nach der Jahrtausendwende am Skisprungfieber anstecken lassen und 2009 dieses Angebot gegründet. Studiert an der Universität Heidelberg und arbeitet nicht nur im Winter als freier Journalist und Autor (u.a. das Buch „Unnützes Skisprungwissen“).

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