Corona im Damen-Skispringen: So verlief der Winter
Gänzlich um das Thema Corona-Infektionen kommt man bei einem Saison-Rückblick nicht herum, im Vergleich zum Herren- steht der Damen-Tross jedoch sehr gut da. Bis einschließlich des Saison-Finales in Tschaikowski wurden gerade einmal drei Fälle bekannt. Ema Klinec erwischte es noch vor dem verspäteten Saisonauftakt in Ramsau, ihre Infektion wurde bei einem Routinetest in der Heimat festgestellt. Bei der WM in Oberstdorf wurde dann ihr Trainer Zoran Zupancic positiv getestet und nur wenige Tage später zudem noch die Italienerin Jessica Malsiner.
Der Fall, der am meisten Aufsehen erregte, war schlussendlich gar keiner – und doch mitverantwortlich für den Endstand im Gesamtweltcup. Denn beim Wochenende im rumänischen Rasnov, bei dem ein Einzelspringen mehr als ursprünglich vorgesehen ausgetragen wurde, erhielt Marita Kramer von den rumänischen Behörden keine Starterlaubnis. Grund war ein ungültiges Ergebnis des PCR-Tests, den sie vor der Abreise absolvierte. Weil bis zum Start der Qualifikation für den ersten Bewerb kein negativer Test vorlag, musste Kramer zuschauen.
Doch damit noch nicht genug: Der in Rumänien durchgeführte Test wies ein positives Ergebnis auf. Es folgten weitere turbulente Stunden mit einigen Nachtests, die allesamt negativ ausfielen. Doch auch für das zweite Einzel bekam sie keine Starterlaubnis, weil laut ÖSV „selbst fehlerhafte Testergebnisse nicht berichtigt werden können.“ Damit war das Wochenende für sie gelaufen und sie entging nur durch den Einsatz von ÖSV, FIS, der örtlichen Behörden und des Veranstalters einer Quarantäne, die zugleich auch das WM-Aus bedeutet hätte.
Kramer: Drama bei der WM in Oberstdorf, Happy End bei „Blue Bird“
Ihrer Sprungform taten die Ereignisse von Rasnov keinen Abbruch, dennoch war ihr ein Happy End in Oberstdorf nicht vergönnt. Zwar holte sie mit Gold (Team) und Bronze (Mixed-Team) zwei WM-Medaillen, wurde aber in beiden Einzelspringen zur tragischen Heldin. Im Normalschanzen-Springen stellte sie im ersten Durchgang sogar einen neuen Schanzenrekord von 109 Metern auf und wurde dann nach einer diskutablen Anlaufverkürzung bittere Vierte.
Doch während die ÖSV-Verantwortlichen umgehend Protest einlegten, um eine Ablösung der FIS-Jury herbeizuführen, bewies die gebürtige Niederländerin Größe und suchte die Schuld ausschließlich bei sich. „Ich habe gestern gesagt, wenn man schlecht landet, wird man Vierte und jetzt bin ich es. Ein verdienter vierter Platz“, sagte sie im ‚ORF‘ und wollte gar keine Diskussion über die Verkürzung aufkommen lassen: „Damit muss man als Skispringerin umgehen, das sind Sachen, die passieren in jedem Wettkampf.“
Auch bei der Großschanzen-Premiere war ihr keine Medaille vergönnt, erneut wurde es der undankbare vierte Platz – das Muster war ähnlich wie gut eine Woche zuvor: „Ich habe heute wieder einiges liegen gelassen, da hatte ich zu wenig Nerven.“ Doch zumindest bei der „Blue Bird“-Tour am Saisonende lief es dann wie gewünscht. Sie gewann alle vier Springen in Nischni Tagil und Tschaikowski und damit auch höchst dominant die Gesamtwertung. „Meine Resultate waren extrem gut und hier in Russland die „Blue Bird“-Tour zu gewinnen fühlt sich großartig an“, lächelte sie zufrieden. Auch, weil sie mit ihrem Schlusssprung auf 146,5 Meter einen neuen Weltrekord für eine Skispringerin in einem Großschanzen-Wettkampf aufstellte.
Nicht nur der Mangel an Ersatz-Wettkämpfen war fragwürdig
Blicken wir nochmals auf die Geschehnisse neben der Schanze. Die Verantwortlichen des Internationalen Skiverbandes (FIS) waren um ihre Jobs in dieser schwierigen Saison wahrlich nicht zu beneiden. Dennoch hinterließen einige Äußerungen und auch das schlussendliche Wettkampfprogramm Fragezeichen. Zunächst zu den Zahlen: 21 Weltcup-Einzelspringen waren angesetzt, 13 wurden abgesagt und nur deren fünf wurden nachgeholt. Vor allem der ÖSV machte sich in diesem Fall verdient, schließlich verdoppelte er die Zahl seiner Weltcups von zwei auf vier. Bei den Herren fanden hingegen 25 der 28 geplanten Einzel statt, auch bei den Teamspringen sieht die absolute Zahl mit vier (zwei bei den Damen) besser aus.
Noch eklatanter fällt der Unterschied im zweitklassigen Continental-Cup aus. Dort fanden lediglich die beiden Springen in Brotterode für die Damen statt, geplant waren allerdings zehn. Genauso viele Springen fielen bei den Herren zwar aus, 21 fanden jedoch statt. Auch im Unterbau herrschte also keine Gleichberechtigung. Schon kurz vor Weihnachten war der Protest seitens der Skispringerinnen groß, als die ausgefallene Olympia-Generalprobe von Peking nach Polen verlegt wurde – allerdings nur für die Herren. „Und was ist mit uns? Unsere Wettkämpfe wurden auch abgesagt“, twitterte Silje Opseth seinerzeit.
Doch nicht nur in diesem Falle wurde sichtbar, dass die Prioritäten bei der FIS andere zu sein scheinen. Herren-Renndirektor Sandro Pertile argumentierte: „Gemäß unserer TV- und Sponsorenverträge haben Männer und Frauen unterschiedliche Werte, der Marktwert entscheidet. Leider ist das Einnahmenniveau für Veranstalter bei einem Frauen-Wettkampf nicht ausreichend, um alle Ausgaben zu decken. Das ist einer der Gründe, warum viele keine Wettkämpfe ausrichten wollen. Die Einnahmen bei Männer-Wettkämpfen sind höher, deshalb ist es einfacher, Veranstalter zu finden.“ Von seinem Konterpart für die Damen, Chika Yoshida, gab es im Saisonverlauf dazu keine Äußerungen.
Dass auch die FIS gerade in Pandemie-Zeiten kein prall gefülltes Festgeldkonto hat, ist nur allzu verständlich. Dennoch wird man das Gefühl nicht los, dass nicht alles dafür getan wird, das Damen-Skispringen für Veranstalter und auch das Publikum attraktiver zu gestalten. Dies passierte vor allem rund um die Vierschanzentournee, als erneut die Frage aufkam, wann es denn für die Damen so weit sei. Pertile meinte in diesem Zuge, dass es nicht sinnvoll sei, ein derartig großes Event „für ein paar Athletinnen zu organisieren“ – eine Aussage, die beim Blick auf die Teilnehmerzahlen zumindest fragwürdig ist. Schließlich war die Teilnehmerzahl bei den Damen mit 61 (Athletinnen auf der Startliste) beziehungsweise 60,5 (auch tatsächlich gestartet) höher als bei den Herren mit 56,8 respektive 56. Zudem gab es mit 78 Springerinnen bei der Qualifikation in Ljubno einen neuen Teilnahmerekord im Damen-Weltcup.
TV-Berichterstattung weiterhin ausbaufähig
Zum Abschluss blicken wir noch auf ein Thema, das gerade in solch einem schwierigen Winter für eine Randsportart wie das Damen-Skispringen von essenzieller Wichtigkeit ist: Die TV-Berichterstattung. Und diese ist, wie seit Anbeginn des Weltcup-Zeitalters vor fast genau zehn Jahren ausbaufähig. Es gab nicht ein Weltcup-Springen, das in dieser Saison komplett live im TV zu sehen war. In der Hochsaison, in der viele Sportarten parallel stattfinden, ist es verständlich, wenn die Sender sich für andere Sportarten entscheiden. Doch, anders als beispielsweise bei der Eiskunstlauf-WM Ende März, wichen ‚ARD‘ und ‚ZDF‘ beim Damen-Skispringen nie auf einen Spartensender und auch nur selten auf einen Livestream aus. ‚Eurosport‘ hatte während der Saison einmal mehr nur die WM-Events im Programm.
Besonders frappierend war dies beim Weltcup-Finale, obwohl es ansonsten keine Parallel-Events gab. Das ist angesichts der technischen Möglichkeiten und der eingekauften und bezahlten Rechte nicht nachvollziehbar. Und es wird der Sportart auch nicht gerecht. Vor allem dann nicht, wenn man rund um die Vierschanzentournee noch in Social-Media-Posts und Beiträgen die große Frage stellte: „Wann kommt die Gleichberechtigung im Skispringen?“ Sie kommt erst, wenn auch die Wettkämpfe der Damen im frei empfangbaren TV laufen – und das haben die Stationen selbst in der Hand.
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