Katharina Althaus verleiht sich selbst Flügel
Eines der Opfer des Disqualifikationen-Hagels von Peking war auch Deutschlands Vorzeigespringerin Katharina Althaus, die im Podcast ‚Ski Happens‘ ihres Vereinskollegen Vinzenz Geiger zugab, sogar über ein vorzeitiges Karriereende nachgedacht zu haben: „Nach Olympia und gerade nach dem Wettkampf habe ich gesagt: ‚No way. Ich höre einfach auf.‘ Ich war in den Tagen danach einfach auch so fix und fertig.“ Und damit war sie nicht die Einzige, auch Silje Opseth spielte mit diesen Gedanken. Sara Takanashi brauchte gar zwei Wochen, um neue Motivation zu fassen.
Dass sich alle drei fürs Weitermachen entschieden, war sowohl für ihre Teams als auch für den Sport von großer Wichtigkeit. Sonst hätte es Opseths Premierensieg und die Weltcupsiege 62 und 63 und -Podien 111 bis 113 für Takanashi nie gegeben. Und auch wenn der Japanerin der Einzeltitel bei WMs und Olympia immer noch abgeht und sie ihre eigenen Erwartungen nicht erfüllen konnte, hat sie sich selbst mit dieser Saison bewiesen, dass sie immer noch Springen gewinnen kann. Nun wird sich zeigen, ob ihr das zur weiteren Fortsetzung ihrer Karriere reicht.
Nach einer durchwachsenen Saison 2020/2021 kämpfte sich Katharina Althaus wieder zurück in jene Platzierungen, die ihrem Selbstverständnis entsprechen: Die Oberstdorferin durfte neben ihrem Einzel-Silber bei Olympia acht Podestplätze und ihren achten Weltcupsieg bejubeln. Corona-bedingt verpasste sie drei der 19 Springen, beendete jedoch alle 16 Starts innerhalb der Top Ten und war damit die Erfolgsgarantin des DSV-Teams.
Die 25-Jährige nutzte den Trainerwechsel vom verdienten Andreas Bauer zu Maximilian Mechler auch für einen persönlichen Neustart. Vor dem Finale in Oberhof erklärte sie bei einem Online-Medentermin, wie sie wieder Anschluss an die Weltspitze fand: „Ich habe inzwischen die Erfahrung und aber auch die Motivation, mich wieder hochzukämpfen. Ich wusste ganz genau, was ich dafür brauche, hatte aber auch die nötige Freude an der Trainingsarbeit. Sobald ich merkte, dass sich Fortschritte einstellten, kam dann auch die Lockerheit dazu und es lief einfach.“
So verlief der erste Winter unter Bundestrainer Maximilian Mechler
Beim Rest des Teams lief es hingegen nur punktuell einfach. Überraschten Juliane Seyfarth und Pauline Heßler im ersten Saisonspringen in Nischni Tagil noch mit den Plätzen neun und zehn, musste man bis Oberhof auf den nächsten Top-Ten-Platz abseits von Katharina Althaus warten. Eben jener zehnte Platz gelang Heßler, die als 25. auch zweitbeste Deutsche im Gesamtweltcup wurde. Neben der Einstellung ihres besten Karriereergebnis fiel sie vor allem durch Konstanz auf, bei allen 13 Starts sprang sie in die Weltcuppunkte. Nachdem sie einige Jahre in Oberstdorf verbrachte, trug die Rückkehr in die Thüringer Heimat maßgeblich zu ihrer Stabilität bei: „Ich brauche das, dass ich die Familie um mich herum habe. Genauso das familiäre, was hier vor Ort und an den Trainingsstätten herrscht. Auch Ralph Gebstedt, mein Heim-Trainer, weiß, wie er mit mir als Athletin und Mensch richtig umgehen muss.“
Seyfarth ließ genau diese Stabilität erneut vermissen. Nach ihrem guten Start in Russland punktete sie nur noch vier Mal zweistellig und verpasste gar zwei Mal den Wettkampf. „Ich springe im Training viel besser als ich es im Wettkampf habe zeigen können. Es ist schade, dass ich nicht die Selbstverständlichkeit habe, immer gleich gute Sprünge zeigen zu können. Es sind viele Kleinigkeiten, die mich davon abbringen. Wenn ich das mache, was ich drauf habe, könnte ich in die Top Ten springen“, analysierte die 32-Jährige selbstkritisch
Damit schlug sie in die gleiche Kerbe wie ihr Chef: „Jede Springerin hat Potenzial, es geht aber auch um Stabilität und Konstanz. Daran müssen wir weiter hart arbeiten.“ Mechler war sich freilich bewusst, in welch große Fußstapfen er treten würde. Mit seiner besonnenen Art und einer Prise Gelassenheit brachte er frischen Wind in das Team und stellte sich auch vor seine Athletinnen, wenn es sein musste. Wie auch bei den Olympischen Spielen in Peking, als ausgerechnet beim wichtigsten Wettkampf der Saison alles schiefging, was schiefgehen konnte. Das große Saisonziel der Mixed-Medaille wurde aus bekannten Gründen nicht erreicht.
Und so ging auch die Leistung von Selina Freitag unter, die eine der bemerkenswertesten Geschichten der Saison schrieb. Nur knapp eine Woche nach ihrem schweren Sturz in Willingen hatte es die 20-Jährige bei ihrem Olympia-Debüt tatsächlich ins Mixed-Aufgebot geschafft. Sie sprang, als wäre vorher nichts gewesen und hätte sich selbst womöglich mit olympischem Edelmetall belohnen können. So blieb ihr 15. Platz – natürlich in Nischni Tagil – ihr bestes Saisonergebnis. Als 28. war sie eine von lediglich vier Deutschen unter den Top 30 des Gesamtweltcups.
Co-Trainer Christian Bruder hört auf
Insgesamt zehn deutsche Damen präsentierten sich im Weltcup, sieben sprangen in die Punkte. Luisa Görlich sprang zwar weite Teile technisch sauber, ein großes Ausrufezeichen wollte ihr aber nicht gelingen. Lediglich vier Mal sprang sie unter die besten 20, zwei Mal Rang 16 war das höchste der Gefühle. Anna Rupprecht tat sich vor allem auf den Großschanzen schwer und schrieb auf ihren Social-Media-Profilen gar von ihrer „schlechtesten Saison überhaupt“. Und dann war da noch Josephin Laue, die als Sachsen-Anhaltinerin eine echte Exotin darstellt. Nach vielen Verletzungssorgen erhielt sie acht Bewährungschancen und holte in Lillehammer und Oslo immerhin ihre ersten Punkte.
Blieben noch Pia Lilian Kübler, Michelle Göbel und Carina Vogt. Für die beiden Juniorinnen verständlicherweise die Junioren-WM in Zakopane ganz oben auf der Agenda. Dort gewannen sie mit der Mannschaft immerhin Bronze, mehr Podestplätze gab es auch in den anderen Wettkampfklassen von ihnen nicht. Vogt durfte nach langer Reha im Sommer und dementsprechend wenig Trainingssprüngen im Weltcup lediglich auf den kleinen Schanzen in Ramsau und Ljubno ran, erlebte somit zumindest die Premiere des Silvester-Tournaments. Auch das genügte ihren Ansprüchen freilich nicht.
Eine Veränderung, die es in jedem Falle geben wird, betrifft den Trainerstab. Dort kündigte Co-Trainer Christian Bruder bereits zum Weltcup in Oslo seinen Rückzug an. Nach 13 langen Jahren und viel Pioniersarbeit ist für den ehemaligen Springer nun Schluss. Mechler betonte im Vorfeld des Weltcup-Finals die Wichtigkeit seines nun Ex-Kollegen: „Ich kann ihm gar nicht genug danken. Für das Team war es enorm wichtig, dass er dieses eine Jahr noch dabei war. Die Zusammenarbeit hat super funktioniert und es war auch mein Wunsch, dass er die Springerinnen am Holmenkollen abwinkt. Ich wollte ihm diese Plattform geben, damit er nochmal in den Fokus rückt.“ Für den DSV geht es nun darum, einen adäquaten Ersatz für einen Vertrauens- und Fachmann zu finden.
Arnet und Westman: Die „Kleinen“ leisteten Großes
Genau solche Fachmänner sorgten dafür, dass auch aus den vermeintlich kleinen Skisprung-Nationen reihenweise Erfolge zu vermelden waren. 19 Nationen stellten sich im Weltcup vor und hätte sich der estnische Trainer in Ljubno nicht mit Corona angesteckt, wäre sogar eine gänzlich neue hinzugestoßen. Doch so hieß es für die ehemalige Nordische Kombiniererin Annemarii Bendi Quarantäne statt Qualifikation. Dafür schafften mit Tetiana Pylypchuk und Tamara Mesikova, die in Oberhof 39. und 40. wurden, erstmals eine Ukrainerin und eine Slowakin den Sprung in den Wettkampf.
Die Schweiz schickte erstmals seit fünf Jahren wieder eine Springerin zu einem Weltcup und Sina Arnet bewies, dass das kein schlechter Einfall war. Sie sprang in Oberhof zwei Mal in die Weltcuppunkte – sechs Jahre nachdem Sabrina Windmüller ihren letzten Punkt geholt hatte. Schweden, das bei den Herren gar keine Rolle mehr spielt, war dagegen bei den Damen erstmals mit zwei Springerinnen in den Punkten vertreten. Während Astrid Norstedt einen Zähler in Klingenthal sammelte, mauserte sich Frida Westman zur Entdeckung der Saison.
Nach zwei schweren Knieverletzungen und der Last-Minute-Teilnahme bei der Nordischen Ski-WM in Oberstdorf startete die 21-Jährige so richtig durch. Bereits seit Sommer 2019 lebt sie in Trondheim und wird dort von niemand geringerem als Roar Ljoekelsoey trainiert. Der Norweger hatte in seiner Zeit als Co-Trainer beim DSV schon den deutschen Adlern das Fliegen beigebracht und führte nun auch Westman zu einem echten Höhenflug. Ganze sieben Mal landete sie unter den besten Zehn, in Hinzenbach fehlte ihr nur ein Meter zum ersten Weltcup-Podium. Und man wird das Gefühl nicht los, dass genau das nur eine Frage der Zeit ist, schließlich erzielt sie diese Top-Resultate in Serie obwohl ihre Landung und auch das letzte Flugdrittel noch ausbaufähig sind.
Kanada und Frankreich knüpfen an frühere Erfolge an
Selbiges gilt indes auch für die Kanadierinnen, die von ihrem neuen Trainer Janko Zwitter profitierten. Der erfahrene Coach führte Abigail Strate und Alexandria Loutitt zu ihren größten Karriereerfolgen und bewies sich, ihnen und der Welt, dass sich die viele Zeit fernab der Heimat lohnen. Ihre Bronzemedaille im olympischen Mixed-Team ging unter dem Disqualifikationen-Hagel, der slowenischen Dominanz und dem russischen Silber geradezu unter, muss aber keine Eintagsfliege bleiben. Ihr Potenzial deuteten Strate (zwei Top-Ten-Ergebnisse im Weltcup) und Loutitt (ein Mal Elfte und Bronze bei der Junioren-WM) jedenfalls an.
Und dann wäre da noch das kleine französische Team, das von Damien Maitre betreut wird. „Für mich ist es das Wichtigste der Welt, dass ich meine Zeit und meine Energie in diese Athletinnen stecke. Der Druck gehört dazu, wir können damit umgehen“, beschwor Maitre in der Dokumentation „Tamers of the wind“. Insbesondere Josephine Pagnier wurde dem gerecht: Vier Top-Ten-Ergebnisse bescherten ihr Rang elf im Gesamtweltcup, auch bei Olympia belegte sie diesen Platz. Ihr dritter Platz in Hinzenbach war der erste Podestplatz einer Französin seit fast acht Jahren.
Leistungen immer besser, Image weiter ausbaufähig
Aus den beschränkten Mitteln wird vielerorts das Maximum herausgeholt. Die Leistungskurve der Springerinnen zeigt insgesamt weiter steiler nach oben als die Image-Kurve. Es ist an der Zeit, dass die, die propagieren, dass der Sport attraktiver werden müsse, auch ihren Teil dazu beitragen und das Damen-Skispringen nicht nur als Kostenfaktor betrachten, wie es Zoran Zupancic bei seiner Demission treffend ausdrückte. Denn sonst wird sein Abgang nur der erste von vielen fähigen Menschen sein, die gegenwärtig noch ihr Herzblut in die Sache stecken – und das wäre das nächste Symptom eines ohnehin nicht gesunden Systems.
Schreiben Sie jetzt einen Kommentar