Für die Skispringerinnen fällt an diesem Wochenende eine große Bastion auf dem Weg zur Gleichberechtigung: In Vikersund dürfen sie erstmals einen Skiflug-Wettkampf bestreiten. skispringen.com beantwortet dazu die wichtigsten Fragen.
Die sechste Ausgabe Raw-Air-Tour neigt sich dem Ende entgegen und gastierte stets, bis auf die Saison 2019/2020 zum Finale stets in Vikersund. Dort sind heuer erstmals auch die Skispringerinnen mit von der Partie. Für 15 von ihnen geht ein großer Traum in Erfüllung: Sie dürfen erstmals Skifliegen gehen. Wie der Weg bis dorthin aussah, wie das Wochenende verlaufen wird und weitere wichtige Fragen rund um diese Weltpremiere beantwortet skispringen.com.
Welche Springerinnen sind qualifiziert und warum?
Für die Teilnehmerinnen dieses ersten Skiflug-Wettkampfs gab es zwei Qualifikationskriterien: Sie mussten in den Top 15 der Raw-Air-Gesamtwertung stehen und vor dem ersten offiziellen Training am Freitag mindestens 18 Jahre alt sein.
Somit sind in Folge des aktuellen Raw-Air-Stands folgende Springerinnen startberechtigt: Ema Klinec (Slowenien), Katharina Althaus und Selina Freitag (beide Deutschland), Anna Odine Stroem (Norwegen), Chiara Kreuzer und Eva Pinkelnig (beide Österreich), Nika Kriznar (Slowenien), Silje Opseth (Norwegen), Alexandria Loutitt und Abigail Strate (beide Kanada), Maren Lundby (Norwegen), Josephine Pagnier (Frankreich), Jenny Rautionaho (Finnland), Anna Rupprecht (Deutschland) und Julia Mühlbacher (Österreich).
Letztere hat jedoch bereits am Mittwochabend nach dem Wettkampf in Lillehammer ihren Start abgesagt. „Ich habe das im Vorfeld mit den Trainern bereits abgeklärt. Es hat für mich keinen Sinn, zum Skifliegen zu gehen. Meine Saisonvorbereitung war wegen einer Rückenverletzung sehr kurz und ich habe vielleicht 25 Großschanzensprünge gemacht“, begründete die 18-Jährige bei ‚TV2‘ ihren Verzicht.
Darf Yuki Ito nach ihrer Disqualifikation in Lillehammer nun Skifliegen?
Es war die Hiobsbotschaft des letzten Wettkampfs vor dem Skifliegen in Lillehammer: Nachdem sie nur minimal zu spät nach Ablauf der zehnsekündigen Grünphase den Startbalken verlassen hatte, wurde Yuki Ito disqualifiziert – und verlor somit ihren sicher geglaubten Startplatz für das Skifliegen in Vikersund. Noch während des laufenden Wettkampfs ergriffen bereits einige ihrer Mitstreiterinnen Partei für die Japanerin, die mit 154 Metern im Januar 2022 in Willingen den inoffiziellen Weltekord aufgestellt hatte. Schon kurz nach dem Springen wurde #LetYukiFly bereits der Hashtag der Skisprungszene, woran sich auch einige männliche Kollegen beteiligten.
Die Cheftrainer aller anderen Nationen sprachen sich mitteils einer Petition für einen Start Itos aus, was auch das Organisationskomittee von Vikersund befürwortete. Nachdem FIS-Renndirektorin Chika Yoshida auch die Zustimmung aller 19 Athletinnen erhalten hatte, die vor ihr in der Raw-Air-Wertung stehen, wurde der Vorschlag dem FIS-Skisprung-Komitee unterbreitet, welches ihn am späten Donnerstagnachmittag schließlich annahm. Somit ist Yuki Ito nicht nur mit von der Partie, sondern darf auch alle Trainingsdurchgänge, den Probedurchgang und den Wettkampf eröffnen.
Wie läuft das Wochenende in Vikersund für die Fliegerinnen ab?
Am Donnerstagabend wurde bei der Mannschaftsführersitzung in Drammen die vorläufige Startliste festgelegt und der Ablauf des Wochenendes vereinbart. Gestartet wird in der umgekehrten Reihenfolge des aktuellen Raw-Air-Rankings. Geplant sind je drei offizielle Trainingsflüge am Freitag und Samstag (jeweils um 10 Uhr). Bevor am Sonntag der Wettkampf steigt, gibt es um 9:15 Uhr einen Probedurchgang, der Wettkampf beginnt dann um 10 Uhr und besteht ganz klassisch aus zwei Wertungsdurchgängen.
» Event-Übersicht mit Zeitplan & Infos: Skifliegen (Damen) in Vikersund 2023
Das Reglement in Bezug auf Bestweiten ist exakt identisch wie bei den Herren: Sowohl im offiziellen Training, als auch in der Probe und dem Wettkampf können die Frauen persönliche, nationale und Schanzen- und Weltrekorde aufstellen.
Wie wird dieser Wettkampf gewertet?
Dieses Skifliegen ist ein sogenanntes FIS Race und zählt nicht in die Gesamtwertung des Weltcups, sehr wohl aber in die der Raw-Air-Tour. Somit steht die Gesamtsiegerin, analog zu den Herren, nicht bereits in Lillehammer, sondern erst in Vikersund fest und erhält auch dort erst ihr Preisgeld für den Gesamtsieg. Für die Platzierungen in diesem Wettkampf erhalten die Springerinnen vom Organisationskomitee Vikersund dasselbe Preisgeld, wie sie es auch im Weltcup erhalten würden.
Welche Vorerfahrungen haben die Teilnehmerinnen?
Für alle 15 Teilnehmerinnen ist das Skifliegen Neuland. Unter den noch aktiven Skispringerinnen gibt es mit Daniela Iraschko-Stolz zumindest eine, die schon einmal Ski geflogen ist. Die heute 39-jährige Österreicherin stellte als Vorfliegerin bereits am 29. Januar 2003 am Kulm den inoffiziellen Weltrekord von 200 Metern auf.
Bereits sechs Jahre zuvor hatte ihre Landsfrau Eva Ganster auf derselben Schanze sechs Flüge absolviert, ehe sie ebenfalls am 29. Januar 2003 ihren Hausrekord von 169 Meter erreichte.
Auch in Vikersund waren bereits damalige Weltklasse-Skispringerinnen als Vorfliegerinnen im Einsatz. Dazu gehörte die US-Amerikanerin Lindsey Van (171 Meter am 6. März 2004), die Schwedin Helena Olsson (174,5 Meter am 7. März 2004), sowie die beiden Norwegerinnen Anette Sagen (174,5 Meter am 6. März 2004) und Line Jahr (155 Meter am 7. März 2004).
Vans Landsfrau Jessica Jerome war bei den letzten Testflügen im Jahr 2009 mit dabei, wenngleich sie dort keine persönliche Bestweite erzielen konnte. Nach einem Allerweltssturz bei der Landung auf 177 Meter von Anette Sagen verhängte der Internationale Ski- und Snowboardverband (FIS) ein Skiflug-Verbot für Frauen, das erst im Frühjahr 2018 wieder aufgehoben wurde.
Es sollte weitere fünf Jahre bis zum ersten Wettkampf dauern, doch nun ist die Zeit reif.
Endlich!
Danke für den erklärenden Artikel.
Wir freuen uns sehr darauf.
Wo kann man das Training streamen?
Das ist eine unglaublich positive Nachricht! Wäre es doch häufiger der Fall, dass allseits und einmütig empfundene Gerechtigkeit so wirksam eingeklagt werden kann…
Einfach mal ein Dank an die FIS dafür. Und auch schön zu sehen, wie die Skisprung Familie hier zusammengehalten hat.