Andreas Goldberger: „Österreich-Streit“

Im Interview bei skispringen.com reagiert Andreas Goldberger mit wenig Verständnis auf den Streit zwischen Gregor Schlierenzauer und Alexander Pointner in Sotschi. Veränderungen im österreichischen Team hält er für möglich.

Andreas Goldberger zählt zu den erfolgreichsten Skispringern Österreichs. Auch nach seinem Karriereende 2005 genießt der mittlerweile 41-Jährige überall auf der Welt ein hohes Ansehen. Im Interview mit skispringen.com-Redakteur Johannes Aigner spricht „Goldi“, wie er noch immer genannt wird, über die vergangenen Olympischen Winterspiele in Sotschi, den Streit zwischen Gregor Schlierenzauer und Alexander Pointner sowie über seinen Job als Kommentator und Kamera-Springer für den ORF – und er erklärt, warum es in Deutschland und Österreich keinen Noriaki Kasai gibt.

Andreas Goldberger, die Olympischen Winterspiele sind beendet, du warst mit deiner Helmkamera in Sotschi selbst live dabei. Wie fällt dein Fazit des Saisonhöhepunktes aus?

Andreas Goldberger: Also mir hat’s sehr getaugt. Das ganze Umfeld war super, viel besser, als alle vorher erwartet haben. Sportlich gesehen gab es eigentlich nur wenig Überraschungen. Mit Kamil Stoch ist ein Favorit Doppel-Olympiasieger geworden, und mich freut es, dass im Mannschaftsspringen die zwei besten Teams aus dem Nationencup bis zum letzten Sprung um den Sieg gekämpft haben. Österreich und Deutschland hatten ja keine Einzelmedaille ersprungen, so durften dann beide zum Schluss doch noch feiern. Im Großschanzen-Einzel hat man von den Bedingungen her schon Glück gebraucht, aber am Ende haben sich wieder die Besten durchgesetzt. Es ist natürlich schade, wenn man einen solchen Wettbewerb mit Wind und schwankender Anlaufgeschwindigkeit ausgerechnet bei Olympischen Spielen hat. Aber solche Wettkämpfe hatten wir heuer schon den ganzen Winter. Was mir auch sehr gefallen hat, ist der Damen-Wettbewerb. Das war für mich ein total lässiger und spannender Bewerb zum Zuschauen.

Hat es dich überrascht, dass die Damen schon eine so hohe Qualität haben?

Goldberger: Nein, das hab ich schon gewusst. Man kennt das von den Weltcupspringen: Der erste Durchgang ist meistens ein bisschen zäh, aber wenn nur mehr die besten 30 springen oder die besten 20, das ist dann schon lässig zum Anschauen. Und man hat gemerkt, dass es alle ziemlich mit den Nerven zu tun hatten – die Daniela verhaut sich den ersten Durchgang und hat im zweiten einen super Sprung, die Carina hätte es im zweiten fast noch versiebt. Und die Takanashi, die ja eigentlich Top-Favoritin war, hat total verkrampft und gar nichts gewonnen. Also das war schon ein cooler Wettbewerb, den sich die Damen auch verdient haben.

Wieso hat es deiner Meinung nach bei den Deutschen mit einer Einzelmedaille nicht geklappt?

Goldberger: Mir ist schon öfter aufgefallen, dass sie gut drauf waren, aber dann im entscheidenden Moment Nerven gezeigt haben. Heuer sind sie gut in den Winter gestartet, dann war Heim-Weltcup in Titisee-Neustadt – und bumm, weg waren sie. Und dann ist es auch bei der Tournee nicht mehr gelaufen. Sie wissen eigentlich, dass sie gut sind, und dann wollen sie es vielleicht noch perfekter machen, wenn’s drauf ankommt. Das ist schon auffällig, und das war bei den Einzel-Entscheidungen in Sotschi eben auch so. Auf der Kleinschanze ist Severin eben blöd auf die Nase gefallen, aber auf der Großen hat er es sich meines Erachtens auch selbst ein bisschen vergeigt. Sein zweiter Sprung war schon nicht mehr so extrem vorn raus wie der erste, sondern mehr mit Sicherheit. Aber man muss auch sagen, die besten vier Springer waren sowieso eine Klasse für sich. Das mit den Nerven hat man in Sotschi übrigens auch bei Gregor Schlierenzauer gesehen. Der wär‘ so gut, aber er will alles so bewusst genau steuern, die Technik und alles, und das geht einfach nicht, dafür geht Skispringen zu schnell. Wenn du im Wettkampf bist, dann musst du’s ablaufen lassen.

Nach Matti Nykänen 1988 und Simon Ammann 2002 und 2010 hatten wir in diesem Jahr erneut einen Doppel-Olympiasieger. Ist es tatsächlich so, dass man befreiter springt, wenn man schon einmal Gold hat?

Goldberger: Ja, der Erfolg ist in meinen Augen einfach der beste Mentalcoach. Da kannst du dir zehn Mal einreden, ich bin gut, ich bin gut, ich bin gut – aber wenn du runtergesprungen bist und vorn bist, dann bist du gut. Da kannst du zu noch so vielen Psychologen rennen oder dir was einreden, aber der Erfolg ist einfach das Beste, was dir passieren kann. Und den hatte Kamil Stoch in dieser Saison schon oft genug, deshalb springt er momentan auch so souverän.

Was sagst du denn zu den Medaillen von Noriaki Kasai?

Goldberger: Geil. Das find‘ ich einfach so klasse! Ich war ja 1998 in Nagano auch als Aktiver dabei, als die Japaner Olympiasieger mit der Mannschaft geworden sind, und da hat der Nori nicht mitspringen dürfen. Nachher hat er gesagt, er springt so lange, bis er Olympiasieger wird, und ich weiß noch, wie alle gelacht haben. Das musst du dir mal vorstellen: 16 Jahre später wird der Hund fast Olympiasieger! Mir taugt das so unglaublich. Und mit welcher Freude er das auch noch macht. Wenn du schaust, wie Jüngere oft jammern und sich beschweren – das hörst du bei ihm alles nicht, der Nori hat einfach immer eine Gaudi. Seine Tugenden zeigen auch wieder: Wenn du ein Ziel hast und Durchhaltevermögen, ist alles möglich. Das lernt man beim Sport auch fürs normale Leben.

Sowas wäre in Deutschland und Österreich nicht denkbar, oder?

Goldberger: Nein, bei uns hältst du dich einfach nicht so lange in der Mannschaft, da kommen die Jungen einfach nach.

Aber müsste man nicht auch hierzulande länger zu älteren Springern halten, die über die Jahre immer wieder mit den Änderungen im Skispringen mitgehen können?

Goldberger: Ja, die gibt’s ja nicht bei uns, das ist es ja. Jemanden wie Kasai findet man sonst nicht. Der ist ein Wunder, ein Wahnsinn, eine Ausnahme. Wenn einer in Deutschland oder Österreich einfach nicht mehr die Qualifikationsnorm erfüllt für Olympia, dann kannst du ihn nicht mehr mitnehmen als Trainer. Das ist ganz klar.

Was sagst du zum Zoff im österreichischen Springerteam bei Olympia?

Goldberger: Diesen Streit haben sie sich selbst gemacht. Auf der einen Seite ist es logisch: Man ist zwei Wochen lang an einem Ort mit dem Team, man hat nur drei Wettkämpfe – da bleibt natürlich auch viel Zeit zum Nachdenken. Die Journalisten warten, dass was passiert. Und dann laufen die Wettkämpfe nicht wie geplant, es macht einer eine Aussage, und schon scheppert’s. Aber die Aussagen waren – wenn man es schön formuliert – unglücklich. Eigentlich waren sie total deppert. Weil mit Streiterei bringst du keine Ruhe ins Team.

Was hättest du in deiner aktiven Zeit gesagt, wenn einer deiner Teamkollegen bei Olympia so etwas rausgelassen hätte? Hätte es da intern gekracht?

Goldberger: Ja, weil das musst du intern regeln. Normalerweise sollten wir uns darüber gar nicht unterhalten müssen, weil wir das gar nicht wissen dürften. Der Gregor hatte wahrscheinlich einen Schleim auf sich selbst, weil es nicht gelaufen ist, und dann wollte er seinem Unmut Ausdruck geben. Aber ich glaube, er hatte in dem Moment gar nicht im Kopf, was er damit lostritt.

Gibst du Gregor Schlierenzauer inhaltlich Recht?

Goldberger: Wenn er den Heimtrainer dabei haben will, dann spricht nichts dagegen, dass er privat hinfährt. Und ich glaube nicht, dass Gregor das erst drei Tage vor den Olympischen Spielen erfahren hat. Im Endeffekt musst du sowieso immer sagen, so ist es jetzt einfach – der Cheftrainer entscheidet. Und wenn Pointner der Cheftrainer ist, dann ist er zu respektieren. Aus, basta. Schlieri wird gegenüber seinen Teamkollegen sicher nicht benachteiligt. Überhaupt muss ich sagen: Dass er keine Einzelmedaille gemacht hat, lag sicher nicht daran, dass sein Heimtrainer nicht da war. Er war einfach nicht so in Form, wie er das gerne gehabt hätte.

Es gibt ja Gerüchte, wonach Schlierenzauer an Pointners Abschied mitarbeitet.

Goldberger: Ja, das Gerücht gibt’s schon seit einigen Jahren. Wenn Pointner sein Lieblingstrainer wäre, dann hätte er das in Sotschi wahrscheinlich nicht gesagt. Das war schon eindeutig. Andererseits muss man auch sagen: Gregor ist 2006 in die Mannschaft gekommen, da war Pointner schon Cheftrainer. Und seitdem hat der Gregor 52 Weltcupsiege gemacht, zweimal die Tournee gewonnen, ist Weltcupgesamtsieger geworden und Skiflugweltmeister – all das hat er unter Alexander Pointner als Cheftrainer erreicht. So schlecht kann das also auch alles nicht sein. Unabhängig davon zeigt die Erfahrung, dass es am Ende von einem Olympiazyklus immer irgendwo eine Veränderung gibt. Vielleicht passiert diesmal auch in Österreich was.

War es aus deiner Sicht vernünftig, dass Thomas Morgenstern nach seinem schweren Sturz in Sotschi wieder dabei war?

Goldberger: Ja. Als Sportler tust du alles für so ein Event, weil du dein ganzes Leben lang davon träumst, dabei zu sein. Und wenn der Arzt zehn Mal sagt, du sollst da nicht hin, dann fährst du trotzdem hin. Ich wäre nach meiner Kokain-Sperre damals sogar für ein anderes Land gesprungen, nur um Skispringen zu können. Im Nachhinein kann der Morgi vielleicht sagen, dass es zu früh war mit Olympia – aber wenn du als Sportler die Chance kriegst, dann springst du eben, da überlegst du in so einer Situation gar nicht. Ein normaler Mensch vor dem Fernseher kann das wahrscheinlich nicht nachvollziehen, aber ein Sportler versteht das.

Als Co-Kommentator beim ORF fliegen dir viele Sympathien zu. Wie stehst du selbst zu diesem Job, den du nach deiner aktiven Karriere angefangen hast?

Goldberger: Mein Motto ist: Wenn ich was mache, dann mache ich das gescheit. Das war schon früher in meiner aktiven Zeit so, und das ist auch jetzt mit dem Fernsehen so. Da musst du immer top informiert sein über das Geschehen. Deswegen ist es gut, dass ich selber noch ab und zu springe mit meinen Kameras. Da habe ich dann immer zwei davon am Helm und zwei an den Skiern, jeweils eine nach vorne und eine nach hinten – ich bin also mit vier Kameras bewaffnet, und das taugt mir, weil die Zuschauer so viel mehr Einblicke in die Sportart kriegen. Dadurch, dass ich selber springe, kriege ich außerdem eine viel bessere Resonanz von den anderen Springern. Die Sportler schätzen dich da viel mehr, weil du wirklich dabei bist. Und dann redest du auch ganz anders mit den Springern, kannst dich auch viel mehr in sie hineinversetzen. Wenn ich springe, tu ich mich also auch beim Kommentieren viel leichter.

Wie viele Tage verbringst du noch im Jahr mit Skispringen?

Goldberger: Im Winter bin ich schon viel dabei, aber nicht jedes Wochenende, denn ich wechsle mich beim Kommentieren mit Armin Kogler ab. Außerdem mache ich zu Hause den Goldi-Talente-Cup, also Talentsichtungen in ganz Österreich. In erster Linie ist das für Kinder, die noch nicht in Vereinen sind und das Skispringen mal ausprobieren können. Und dann, wenn sie neugierig sind, können wir ihnen sagen, zu welchem Verein sie gehen könnten. Wir führen sie hin, denn viele wissen ja gar nicht, wie man anfangen kann, weil sie nicht in der Nähe eines Vereins wohnen.

Von deinen Sprüngen mit Helmkamera war bereits die Rede. Wie viel Aufwand ist es für dich jetzt noch, neun Jahre nach deiner aktiven Karriere, dich dafür immer fit zu halten?

Goldberger: Ich muss schon trainieren nach wie vor, auch im Sommer, weil ohne Training ist Skispringen einfach zu gefährlich. Ich tu‘ immer so viel, dass ich das Gefühl hab, ich hab’s im Griff. Es ist aber weniger Umfang als bei den Profis. Kraftmäßig mach ich nicht mehr so viel, dafür nehm‘ ich halt dann ein bisschen mehr Anlauf an der Schanze. Aber koordinativ trainiere ich schon, dass ich halbwegs vernünftig springen kann. Das wird von Jahr zu Jahr nicht leichter, man muss immer mehr tun dafür.

Wie lange möchtest du noch springen?

Goldberger: Vor ein paar Jahren hab ich mir gesagt, mit 40 soll einmal Schluss sein. Das hab ich jetzt ja schon versäumt. Ich merke, die Resonanz von den Zuschauern ist gut, und auch die Leute vom ORF finden das einfach geil mit der Helmkamera. Es freut mich, wenn das so geschätzt wird. Von dem her: Schauen wir mal. Wenn’s geht, dann geht’s – und wenn nicht, dann halt nicht.

Würde es dich reizen, mal Trainer zu sein?

Goldberger: Nein, weil als Trainer musst du manchmal schon auch ein unguter Typ sein können. Du musst vor allem Härte zeigen können, damit der Athlet aus sich rausgeht und nicht den gleichen Scheiß immer wieder macht. Du musst den Athleten oft bewusst manipulieren oder bewusst belügen, damit er seine Höchstleistung bringt. Ich kann zu mir selbst schon hart sein, weil ich weiß, dieses und jenes muss ich machen, damit ich erfolgreich bin – und es betrifft dann nur mich. Aber das zu einem anderen sagen, damit hätte ich ein Problem. Wenn du zum Beispiel sechs gute Leute in der Mannschaft hast, dann musst du einen schon mal daheim lassen vor einem Großereignis, und vor Ort musst du nochmal einen zuschauen lassen. Sag das mal einem Spitzensportler. Das wäre für mich das Ärgste, wenn ich zu einem sagen müsste, du springst, und du nicht – und dann sagt der dir, du bist ein Trottel, was ich auch verstehen kann. Nein, Trainer sein wäre nix für mich. Da arbeite ich lieber mit den ganz jungen Talenten.

Herzlichen Dank für das ausführliche Gespräch!

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