Mit der Goldmedaille durch Anders Bardal ist Team Norwegen bestmöglich in die WM gestartet. Exklusiv bei skispringen.com spricht Cheftrainer Alexander Stöckl über diesen Erfolg und gibt Interessantes zum „Stöckl-Schuh“ preis.
Seit fast zwei Jahren ist Alexander Stöckl inzwischen Cheftrainer der norwegischen Skispringer. Schon in seiner ersten Saison machte er Anders Bardal zum Gesamtweltcup-Gewinner, vor wenigen Tagen zudem zum Weltmeister auf der Normalschanze. Auch auf der Großschanze möchte er mit seiner Mannschaft nun wieder angreifen und weitere Medaillen gewinnen.
Während die Weltmeisterschaften in vollem Gange sind, nahm sich Alexander Stöckl Zeit für ein exklusives Interview bei skispringen.com. Im Gespräch mit Julia Robel blickt Norwegens Cheftrainer auf die zurückliegenden Wettkämpfe auf der Normalschanze zurück und gibt Ausblick auf die bevorstehenden Entscheidungen auf der Großschanze. Zudem spricht er über sein neues Leben in Norwegen, die Erfindung des „Stöckl-Schuhs“, die Atmosphäre in Norwegen, den Rekord von Gregor Schlierenzauer und das Comeback von Janne Ahonen.
Alex, erst einmal Glückwunsch zum gelungenen Start in die Weltmeisterschaften mit der Goldmedaille von Anders Bardal. Im Vorfeld der WM hast du dich zum Einzelgold ein wenig bedeckt geäußert. Kam dieser Erfolg für dich – zumindest ein bisschen – überraschend?
Alexander Stöckl: Ja, das war schon überraschend. Mit Gold kann man bei einer WM nicht rechnen, speziell auf der Normalschanze. Da sind die Abstände so gering, dass Sieg und Niederlage knapp aneinander liegen.
Hattest du hier auch Anders Bardal als so stark auf der Rechnung oder eher Anders Jacobsen, der allerdings wieder mit starken technischen Fehlern zu kämpfen hatte?
Stöckl: Nach dem Training war ich der Meinung, dass wir mehrere Athleten mit Chancen auf Medaillen haben. Ich hatte aber auch das Gefühl, dass Anders Bardal ein sehr klares Bild davon hatte, was er machen will. Dass es schlussendlich für Gold reichte, war natürlich top. Die anderen haben sich gut geschlagen, allerdings nicht so gut wie im Training. Jacobsen hatte wieder etwas mit der ersten Flugphase zu kämpfen, das kommt immer wieder mal vor. Da bricht sein persönlicher technischer Fehler immer wieder mal heraus.
Ist dagegen das Abschneiden mit dem undankbaren vierten Platz beim Mixed Wettbewerb enttäuschend? Was hat hier gefehlt?
Stöckl: Knapp an einer Medaille vorbeizuschrammen ist immer eine leichte Enttäuschung. Ich muss allerdings zugestehen, dass wir einfach nicht gut genug ware. Alle, Jungs und Mädels, haben das gebracht, was sie zum jetzigen Zeitpunkt draufhaben. Ich bin also mit der Eigenleistung im Wettkampf zufrieden. Mehr war nicht drin.
Wie fällt das Gesamtfazit nach den Normalschanzen-Entscheidungen aus?
Stöckl: Wir haben uns gut präsentiert und mit Gold in eine WM zu starten, ist natürlich eine Erleichterung. Ich sehe allerdings noch Verbesserungspotential bei unseren Athleten. Wir müssen die nächsten Tage voll nutzen, um auf der Großschanze mithalten zu können.
Wie sehen nun die Zielsetzungen für die Großschanze aus? Haben sich diese nach der Goldmedaille vielleicht verändert?
Stöckl: Nein. Da hat sich nichts geändert. Wir wollen bei den kommenden Bewerben um Medaillen mitkämpfen. Das wird wieder schwierig, da das Niveau hoch ist und die, die auf der Normalschanze keine Medaillen gemacht haben, auf Angriff gehen werden. Es gibt also mehr als genug Anwärter auf dreimal Edelmetall.
Seit inzwischen fast zwei Jahren bist du Cheftrainer der norwegischen Nationalmannschaft. Wie war die Zeit bislang für dich?
Stöckl: Durchaus positiv. Viele Dinge, die wir umsetzen wollten, haben wir umgesetzt. Die Stimmung in der Mannschaft ist super und ich habe mich gut eingelebt in Norwegen. Auch mit der Sprache klappt es immer besser. Ich bin sehr zufrieden mit der Entwicklung und ich denke, dass ich in einer Mannschaft und an einem Ort bin, wo ich mich wirklich wohl fühle.
Was bedeutet das für dich, nach Norwegen gezogen zu sein? Vor einiger Zeit sagtest du, dass du das Land liebst.
Stöckl: Ich denke, dass es der richtige Schritt war. Um diese Aufgabe richtig zu erfüllen, muss man vor Ort sein, die Sprache, die Kultur und die Hintergründe verstehen. In dem Fall war es klar, das meine Freundin und ich nach Norwegen ziehen. Und nachdem wir beide das Land sehr lieben und schon öfter dort Urlaub verbracht haben – bevor ich überhaupt im Gespräch war – wussten wir, dass ist ein Land, wo wir uns auch vorstellen können, länger zu sein.
War das vielleicht ein Nachteil, den Mika Kojonkoski hatte, der nie die Sprache gelernt und nie in das Land gezogen ist?
Stöckl: Ja, das hat die Sache für ihn schon schwierig gemacht. Die Stimmungen erfährt man nicht per E-Mail oder über Telefongespräche, sondern dafür muss man vor Ort und selbst mittendrin sein. Ich denke, dass er damals einiges versäumt hat.
Fehlt dir auch manchmal deine österreichische Heimat bzw. das beschauliche Leben von damals? Das hat sich ja sicherlich sehr verändert.
Stöckl: An die Medienaufmerksamkeit gewöhnt man sich. Zudem habe ich auch in Norwegen zu Hause ein beschauliches Leben. Wir wohnen sehr angenehm, haben nette Nachbarn, bei denen es keine Rolle spielt, wer ich bin und was ich mache. Ich vermisse nur die hohen Berge, die man in Oslo nicht hat. Ich habe vorher in Telfs bei Innsbruck gewohnt, wo unser Hausberg über 2.000 Meter hoch war. In Oslo ist der Hausberg 400 Meter hoch.
War es eine schwierige Entscheidung, das WM-Team aufzustellen? Oder hattest du diese Aufstellung schon länger im Kopf?
Stöckl: Es ist immer eine schwierige Entscheidung, weil man als Trainer ja immer ein bis zwei Athleten nach Hause schicken muss. Das ist immer eine Gewissensfrage, weil man immer Träume zerstört. Da muss man die richtigen Worte finden, wenn man mit den Athleten spricht, die nicht fahren. Das ist ganz wichtig.
An dieser Stelle: Wie geht es Bjoern Einar Romoeren? Eigentlich wollte er ja bei der WM schon wieder springen. Planica war sein nächstes Ziel.
Stöckl: Die WM hat ja nun nicht geklappt. (lacht) Ob es in Planica klappt, davon bin ich auch nicht mehr ganz überzeugt. Ich wäre aber froh, wenn er heuer noch springt. Aber er handelt sehr vernünftig, überhastet nichts und trainiert sehr fleißig.
Ein vieldiskutiertes Thema während der Vierschanzentournee war der „Stöckl-Schuh“. Inzwischen mit etwas mehr Abstand: Was genau hat es damit auf sich?
Stöckl: Das ist eine Modifikation des Sprungschuhes, ein Hilfsmittel um den Ski in der Luft stabiler zu machen. Wir sind nicht die einzigen, die an solchen Schuhen basteln – bei den Top-15-Athleten gibt es keinen einzigen, der mit einem normalen handelsüblichen Schuh springt, sondern jeder hat seinen individuell angepassten Sprungschuh. Der Zeitpunkt der Tournee war aus zwei Gründen notwendig: Zum einen hat es ein bisschen Entwicklungszeit gebraucht, bis wir soweit waren. Und der zweite Grund war natürlich schon auch der psychologische Effekt, den wir erzielen wollten. Mit dem Schuh wollten wir natürlich schon etwas Unruhe in die Szene bringen. Auch im Nachhinein denke ich, dass das ein kluger Schachzug. Die Medien waren dankbar und die Athleten hatten das Gefühl, etwas ganz Neues und Einzigartiges zu haben.
Wie groß schätzt du selber den Vorteil der Schuhe ein und ist er auch bei der WM ein Thema?
Stöckl: Einen kleinen Vorteil gibt es sicher, aber ich denke, dass andere auch an ähnlichen Lösungen gearbeitet haben. Wir verlasssen uns allerdings nicht nur aufs Material sondern auf eine solide Technik und eine gute Vorbereitung auf den Tag X.
Mindestens ein ebenso großes Thema war die Umstellung auf die neuen Sprunganzüge. Die norwegische Mannschaft scheint damit ja gut klar zu kommen.
Stöckl: Ich finde es eine gute Entscheidung der FIS, das Material so weit einzuschränken. So sind die Materialkontrollen viel einfacher und die einzelnen Teams haben nicht mehr die Möglichkeiten, aufgrund der Anzüge der Konkurrenz davonzufliegen.
Die FIS-Team-Tour habt ihr auf der Zielgeraden noch gewonnen. Hättest du gedacht, dass ausgerechnet die Slowenen die größten Konkurrenten sind?
Stöckl: Damit habe ich nicht gerechnet. Man weiß aber, dass sie ausgezeichnete Flieger sind und gerade bei Aufwindverhältnissen extrem risikobereit agieren. Die Verhältnisse kamen ihnen teilweise sehr entgegen, so dass sie gerade beim Mannschaftsspringen in Willingen unschlagbar waren.
Anderes Thema: Gregor Schlierenzauer hat den Rekord von Matti Nykänen geknackt. Wie bewertest du diese außergewöhnliche Leistung?
Stöckl: Das muss man honorieren, wenn jemand über einen so langen Zeitraum in so jungen Jahren so erfolgreich ist – das ist schon eine unglaubliche Leistung. Ich finde es toll, wie er damit umgeht. Er ist der beste Skispringer aller Zeiten und setzt sich trotzdem noch Ziele. Ich glaube, das ist ganz besonders schwierig und er macht das hervorragend. Wenn nichts dazwischen kommt, wird er noch viele weitere Siege feiern.
Ist dieser Rekord in Zukunft überhaupt noch zu knacken?
Stöckl: Das ist verdammt schwierig. Sein Vorgänger hat ja länger gebraucht als Gregor, aber trotzdem sollte man das nicht ausschließen. Rekorde sind da, um gebrochen zu werden und irgendwer wird das irgendwann auch schaffen.
Vor einigen Wochen hat Janne Ahonen ja sein Comeback angekündigt. Du bist Skisprungfachmann – denkst du, dass er erfolgreich zurückkommen kann?
Stöckl: Ich bin wirklich gespannt, wie er das schaffen möchte. Ich denke, dass er einen großen Rückstand hat – und auch sein letztes Comeback war für ihn nicht zufriedenstellend. Ich kann mir aber vorstellen, dass ihm die Materialänderungen entgegen kommen. Warum er sich dafür entschieden hat, weiß ich allerdings nicht. Manche sagen, es wäre wirklich die Olympiamedaille. Andere sagen, dass es eine Geldfrage ist und er so wieder mehr Sponsoren anlocken möchte. Das würde dem finnischen Skispringen sicher helfen. Wenn er sich gut verkauft, ist das eine positive Sache.
Alex, vielen Dank für das Gespräch und viel Erfolg für die nächsten Wettkämpfe in Val di Fiemme.
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